Selten, aber schwerwiegend

​​​​​​​DZNE-Forscher äußern sich zu Seltenen Erkrankungen anlässlich des Aktionstages am 28. Februar

Eine einzelne „Seltene Erkrankung“ betrifft für sich genommen zwar nur eine relative kleine Anzahl von Personen. Allerdings gibt es viele verschiedene seltene Erkrankungen (Schätzungen zufolge mehr als 6.000) – die Gesamtzahl der Patienten ist dementsprechend groß. Allein in Deutschland geht man von rund vier Millionen Betroffenen aus.

In der EU wird im Übrigen eine Erkrankung dann als „selten“ angesehen, wenn von 10.000 Menschen weniger als fünf betroffen sind. Diverse neurodegenerative Erkrankungen gelten daher als „selten“: etwa die Huntington-Erkrankung und die familiäre Form von Alzheimer. Anlässlich des diesjährigen „Tags der Seltenen Erkrankungen“ – hier ein Überblick über einige seltene Erkrankungen des Gehirns und Nervensystems, die am DZNE erforscht werden.

 

ALS - Prof. Albert Ludolph

Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine seltene neurodegenerative Erkrankung, die Gehirn und Rückenmark erfasst. Erläuterungen dazu von Prof. Albert Ludolph, Sprecher des DZNE-Standorts Ulm und Ärztlicher Direktor der Klinik für Neurologie der Universität Ulm.

Welche Bereiche des Nervensystems sind betroffen?
Die ALS ist eine Erkrankung der Willkürmotorik. Es geht also um Bewegungen, die bewusst gesteuert werden. Die Erkrankung führt dazu, dass der Patient sich seiner Umgebung nicht äußern kann, weder mit Wort, Schrift, Haltung, Mimik oder Gestik. Diese Beeinträchtigung beginnt an einer Stelle des Körpers und breitet sich unaufhaltsam über den gesamten Körper aus. Meist führt die Erkrankung innerhalb weniger Jahre zum Tode.

Welche Bereiche des Nervensystems sind betroffen?
Die Erkrankung schädigt Bereiche des Gehirns und auch des Rückenmarks. Dadurch ist die Willkürmotorik betroffen, das heißt jede willkürliche Muskelbewegung außer die der Augenmuskeln und der Schließmuskeln wird beeinträchtigt. 

Was weiß man über die Ursachen?
Man weiß, dass etwa 5% einen autosomal dominanten Erbgang in der Familie haben. Das heißt, dass die meisten Nachkommen erkranken. Die Gene sind weitgehend identifiziert, in Deutschland kennt man sie bei 2/3 der Betroffenen, bei 1/3 der Patienten mit familiärer ALS sind die dafür verantwortlichen Gene noch nicht identifiziert. Bei den anderen 95%, also bei der überwiegenden Mehrheit der Erkrankungen, kennt man die Ursachen nur unzureichend. 

Wie wird die Erkrankung diagnostiziert?
Die Krankheit wird allein aufgrund von Anamnese und Befund diagnostiziert. Hilfsmittel sind die Elektromyographie sowie Biomarker im Blut und im Nervenwasser. Bei den Biomarkern geht es vor allem um sogenannte Neurofilamente. Die Neurofilamente sind Überreste von Nervenzellen und somit Indikatoren für Nervenschädigungen.  

Wie viele Patienten gibt es in Deutschland?
Es gibt derzeit etwa 8.000 bis 9.000 Patienten in Deutschland; im Jahr erkranken hierzulande etwa 2.500 Menschen an der ALS. 

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Die Behandlungsmöglichkeiten beschränken sich darauf, die Krankheit zu verzögern. Pharmakologisch steht das Riluzol im Vordergrund, heute werden auch das Medikament Edaravone und Rasagilin diskutiert. Wichtige Maßnahmen sind die Unterstützung der Beatmung mit nichtinvasiver Heimbeatmung sowie die Sicherung der Ernährung mit dem Ziel, das Gewicht zu halten.

Woran wird geforscht?
Es wird derzeit daran geforscht, mit Medikamenten, die die Genregulation beeinflussen, den Effekt der krank machenden Gene zu reduzieren. Dies gilt aber bisher nur für die 5% Patienten, die eine positive Familienanamnese aufweisen. Darüber hinaus gibt es vielfältige therapeutische Ansätze, von denen man hoffen kann, dass sie in der Zukunft Erfolg haben. Konkrete Ansätze sind die Beeinflussung des Fettstoffwechsels sowie die Hemmung des Enzyms Monoaminoxidase B. 

Alzheimer - Priv.-Doz. Dr. Johannes Levin

Alzheimer ist die häufigste degenerative Hirnerkrankung und auch die häufigste Form einer Demenzerkrankung. Insgesamt betrachtet ist Alzheimer keineswegs selten. „Selten“ ist gleichwohl eine spezielle Variante der Erkrankung: nämlich die sogenannte familiäre Form. Diese wird durch Mutationen im Erbgut ausgelöst und ist daher vererbbar. Die Hintergründe erläutert PD Dr. Johannes Levin, Forscher am DZNE und am Klinikum der Universität München. Er leitet den Münchener Standort der sogenannten DIAN-Studie: DIAN ist ein weltweites Netzwerk zur Untersuchung der erblichen Form von Alzheimer. In Deutschland wird die Studie vom DZNE durchgeführt – mit den beiden Studienzentren München und Tübingen.

Wie äußert sich die erbliche Form der Alzheimer-Erkrankung?
Klinisch genau wie die sporadische Form, also jene Krankheitsvariante, die sich im Allgemeinen erst im höheren Lebensalter bemerkbar macht. Im Vordergrund steht ein langsam fortschreitender Verlust höherer Hirnfunktionen, vor allem des Gedächtnisses aber auch der visuell-räumlichen Fähigkeiten und der Fähigkeiten zur Problemlösung. Im Unterschied zur altersassoziierten Alzheimer-Erkrankung tritt dies jedoch viel früher auf, nämlich im Mittelwert mit 47 Jahren. Außerdem ist natürlich die namensgebende familiäre Häufung charakteristisch. Die Nachkommen eines Patienten mit familiärer Alzheimer-Krankheit haben eine 50%ige Wahrscheinlichkeit im Laufe ihres Lebens ebenfalls davon betroffen zu sein.

Wie ist der Verlauf?
Auch der Verlauf ähnelt der altersassoziierten Form der Alzheimer-Krankheit sehr stark. Die mittlere Überlebensdauer beträgt 8-10 Jahre. Damit ist der Verlauf der Alzheimer-Krankheit hinsichtlich der Überlebenszeit durchaus vergleichbar mit vielen Krebserkrankungen. Im Unterschied zu Krebs ist der Krankheitsverlauf jedoch weniger von guten und schlechten Phasen gekennzeichnet. Es kommt vielmehr zu einer anhaltenden schleichenden Verschlechterung der geistigen Leistungsfähigkeit, in deren Verlauf die Unabhängigkeit verloren geht. Auguste D., die erste Person, bei der eine Alzheimer-Erkrankung diagnostiziert wurde, sagte seinerzeit: „ich habe mich selbst verloren“.

Welche Bereiche des Nervensystems sind betroffen?
Im Verlauf der Erkrankung ist praktisch das gesamte Großhirn betroffen. Früh in der Erkrankung findet man jedoch, wie auch bei der altersassoziierten Alzheimer-Krankheit, krankhafte Veränderungen im mittleren Bereich des Schläfenlappens beziehungsweise „Temporallappens“ und im sogenannten Scheitellappen.

Was weiß man über die Ursachen?
Es sind aktuell drei Gene bekannt, in denen Veränderungen zur erblichen Form der Alzheimer-Erkrankung führen. Dabei handelt es sich einerseits um das sogenannte APP-Gen. Dieses liefert den Bauplan für ein Protein namens APP, aus dem letztlich die Alzheimer-typischen Ablagerungen im Gewebe entstehen. Das sind die berüchtigten Alzheimer-Plaques. Die anderen beiden Gene sind für zwei Enzyme verantwortlich, die eben dieses Protein zerschneiden Die Konsequenz der genetischen Veränderungen ist immer die gleiche: Plaques werden verstärkt gebildet, entweder weil zu viel APP vorhanden ist oder weil es falsch geschnitten wird. Dieser Mechanismus ist im Übrigen auch die Ursache dafür, dass  Menschen mit einem Down-Syndrom ein extrem hohes Risiko haben, an Demenz zu erkranken. Denn ihr Erbgut enthält das Chromosom 21 in dreifacher Ausführung, statt wie gewöhnlich in zweifacher Kopie. Weil das APP-Gen auf Chromosom 21 vorliegt, produziert ihr Körper zu viel des Eiweißstoffes APP.

Wie wird die Erkrankung diagnostiziert?
Die Diagnose erfolgt wie beim altersassoziierten Alzheimer anhand der klinischen Anzeichen der Erkrankung. In der Regel ist es sinnvoll, neuropsychologische Untersuchungen durchzuführen, um das Gedächtnis und andere kognitive Fähigkeiten zu testen. Außerdem sollte eine Ausschlussdiagnostik gemacht werden, um Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen auszuschließen. Dafür sind in aller Regel Untersuchungen des Gehirns mittels Magnetresonanztomographie und eine Blut-Analyse notwendig. Alzheimer-spezifische Biomarker können ebenfalls einen Beitrag zur Diagnose leisten. Solche Biomarker lassen sich im Nervenwasser messen oder im Gehirn mit Hilfe nuklearmedizinischer Bildgebung. Im besonderen Fall der erblichen Alzheimer-Krankheit kann das Erkrankungsrisiko mit einem Gentest untersucht werden.

Wie unterscheidet sich die erbliche Form der Alzheimer-Erkrankung von der weitaus häufigeren „spontanen“ Variante?
Im Wesentlichen durch die familiäre Häufung und den frühen Krankheitsbeginn. Sonst sind die Erkrankungen sehr ähnlich.

Wie viele Patienten gibt es in Deutschland?
Das ist schwer zu sagen, da es mit Sicherheit eine große Dunkelziffer gibt. Die beiden DIAN-Standorte in Deutschland, Tübingen und München, haben Kontakt zu etwas mehr als 100 Patienten und Risikopersonen, also klinisch gesunden Mitgliedern von „Alzheimer-Familien“, die jeweils ein individuelles Risiko von 50 % haben, Genträger zu sein. Grundsätzlich geht man davon aus, dass weniger als ein Prozent der Alzheimer-Erkrankungen auf die familiäre Form zurückgeht.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Aktuell gibt es keine Medikamente, die den Verlauf der Krankheit aufhalten könnten. So eine Therapie wird dringend benötigt. Die zugelassenen Medikamente sind begrenzt wirksam. Ihre Wirkungsweise zielt darauf hin, die Krankheitssymptome zu lindern. Nach meiner Meinung ist es aktuell am bedeutsamsten, über eine gute psychosoziale Unterstützung die Krankheitsfolgen so gut es geht, zu lindern. Allerdings ist weiter dringend Forschung zur Entwicklung einer kausal wirksamen Therapie notwendig.

Woran wird geforscht?
Der internationale Forschungsverbund DIAN, an dem das DZNE mitwirkt, hat zwei wesentliche Ziele: Einerseits geht es darum, den Verlauf insbesondere der familiären Alzheimer-Erkrankung so gut es geht, zu verstehen. Dafür müssen Biomarker identifiziert werden, mit denen man den Krankheitsverlauf präzise verfolgen kann. Solche Biomarker sind erforderlich, um überprüfen zu können, ob neuartige Behandlungsmethoden eine Wirkung haben. Das DZNE hat im Rahmen von DIAN einen Bluttest entwickelt, der genau dafür sehr hilfreich sein könnte. Das könnte den Weg für neue Therapien bereiten.

Das zweite Ziel von DIAN gilt der eigentlichen Therapie-Entwicklung. Aktuell wird die Strategie verfolgt, mit speziellen Antikörpern, die Alzheimer-Plaques aus den Gehirnen der Patienten zu entfernen. Das gelingt zwar, bisherige Studien mit Menschen mit familiärem Alzheimer zeigten jedoch keine Auswirkung auf die geistige Leistung. Weitere Ansätze beziehen sich auf andere Krankheitsvorgänge. Das gilt sowohl für die familiäre Form der Alzheimer-Erkrankung wie auch für die sporadische Variante. Dabei geht es insbesondere um pathologische Ablagerungen des sogenannten Tau-Proteins und um Entzündungsmechanismen. Ich gehe davon aus, dass wie bei vielen Infektionserkrankungen eine Kombinationstherapie notwendig sein wird, um den Verlauf wirklich effizient zu behandeln. Ich persönlich halte Wirkstoffe mit niedriger Molekülmasse für sehr vielversprechend. Hier gibt es derzeit interessante Entwicklungen. Bis zum etwaigen Einsatz am Patienten ist es aber sicher noch ein weiter Weg.

Ataxie - Prof. Thomas Klockgether

„Ataxien“ nennt man eine Gruppe von Erkrankungen des Gehirns und Rückenmarks, die mit Bewegungsstörungen einhergehen. Was ist über diese seltenen Erkrankungen bekannt? Erläuterungen dazu von Prof. Thomas Klockgether, Direktor der Klinischen Forschung des DZNE und Mitglied im Leitungsgremium des „Zentrums für Seltene Erkrankungen“ am Universitätsklinikum Bonn.

Wie äußert sich eine Ataxie?
Ataxien äußern sich durch motorische Störungen wie z. B. Gangunsicherheit und die Tendenz zu Stürzen. Die Handschrift wird undeutlich, das Greifen und Halten, z. B. von Essbesteck, fällt schwer. Aber auch die Sprache der Patienten kann beeinflusst werden: Sie wird undeutlich und verwaschen. 

Welche Bereiche des Nervensystems sind betroffen? 
Ataxien entstehen durch Schäden am Kleinhirn und Rückenmark, die für die Koordination und Ausführung von Bewegungen zuständig sind. 

Was weiß man über die Ursachen?
Ataxien sind eine sehr heterogene Krankheitsgruppe. Es gibt nicht nur „die eine“ Ataxie. Sie haben entweder eine genetische, also erbliche, angeborene Ursache, oder sie wurden erworben, sind also nicht erblich bedingt. Bei den erblich bedingten Ataxien gibt es mindestens 200 verschiedene Genmutationen, welche die Erkrankung verursachen. Erworbene Ataxien entstehen irgendwann im Lauf des Lebens durch endogene oder exogene Einflüsse – das können z. B. Gifte sein, Fehlernährung und Vitaminmangel oder Immunmechanismen, ähnlich wie bei einer immunvermittelten Enzephalitis, also Gehirnentzündung. Bei den genetischen Ataxien ist die Friedreich-Ataxie am häufigsten. Sie beginnt in der Kindheit bzw. Pubertät. Das ist eine rezessiv vererbte Krankheit: Die Eltern sind gesund, und auf einmal fällt das Kind im Alter von 8 oder 9 Jahren beim Schulsport vom Barren – und die Eltern wissen erst mal nicht, woran das liegt. Wir erforschen die Friedreich-Ataxie in klinischen Studien.

Wie wird die Erkrankung diagnostiziert?
Die Diagnose erfolgt durch Anamnese und klinische Untersuchungen. Besonderer Stellenwert kommt dabei einer genauen und umfassenden Familienanamnese zu, da ähnliche Bewegungsstörungen bei Verwandten auf eine genetische Ataxie hinweisen. Außerdem kommen bildgebende Verfahren wie Magnetresonanz-Tomographie (MRT) zum Einsatz, Labordiagnostik und molekulargenetische Untersuchungen.

Wie viele Patienten gibt es in Deutschland?
Rund 16.000 Menschen in Deutschland leiden an Ataxien.

Wodurch unterscheidet sich eine Ataxie von der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) und Parkinson, die ja auch mit Bewegungsstörungen einhergehen?
Von der Parkinson-Krankheit und der ALS unterscheiden sich Ataxien dadurch, dass bei Ataxien Koordinationsstörungen im Vordergrund stehen, während es bei Parkinson zu einer Verlangsamung der Bewegungen und Muskelsteifigkeit kommt und bei ALS zu vollständigen Lähmungen.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Momentan sind Ataxien noch nicht medikamentös behandelbar. Regelmäßige Physiotherapie mit aktiven Übungen zur Förderung der Koordination kann die Symptome aber dauerhaft lindern. Die Hoffnung liegt bei genetischen Ataxien jetzt in neuen Behandlungen, die direkt an der DNA oder der RNA angreifen. Konkret sind das Gentherapie-Ansätze, z. B. mit sogenannten Antisense-Oligonukleotiden. Das sind kurzkettige Moleküle, die sich an die Genmutation anlagern und die Umsetzung der darin enthaltenen krankmachenden Information blockieren. 

Woran wird geforscht? Welche neuen Ansätze werden untersucht?
Unser Forschungsschwerpunkt liegt bei dominant vererbten Ataxien, die von einer Generation an die nächste vererbt werden. Die Patienten wissen häufig, dass die Krankheit in der Familie vorkommt, in jeder Generation ─ wie ein Familienschicksal. Unter diesen Ataxien ist die Spinozerebelläre Ataxie Typ 3 am häufigsten. Sie wird auch Machado-Joseph-Krankheit genannt und beginnt üblicherweise zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr. Die Lebenserwartung beträgt ab diesem Zeitpunkt dann nur noch 20 bis 25 Jahre, die Betroffenen sterben daran. Am DZNE führen wir seit längerer Zeit große klinische Beobachtungsstudien durch. Diese haben die Grundlage dafür geschaffen, dass wir voraussichtlich schon nächstes Jahr mit ersten Behandlungsstudien beginnen können. Für unsere Studien suchen wir im Übrigen auch immer wieder gesunde Teilnehmerinnen und Teilnehmer als Kontrollgruppe (DANCER). Deren Engagement ist für die Entwicklung neuer Therapien enorm wichtig.

FTD - Prof. Anja Schneider

Die Frontotemporale Demenz (FTD) zählt zu den seltenen Demenzerkrankungen. Information dazu von Prof. Anja Schneider. Sie leitet die Forschungsgruppe „Translationale Demenzforschung“ am DZNE-Standort Bonn und eine bundesweite Studie zur FTD. Überdies ist sie Direktorin der Klinik für Neurodegenerative Erkrankungen und Gerontopsychiatrie am Universitätsklinikum Bonn.

Wie äußert sich die Frontotemporale Demenz?
Frontotemporale Demenz ist ein Oberbegriff für eine Gruppe von Erkrankungen mit teils überlappenden Symptomen. Insofern handelt sich es weniger um eine einzelne, spezifische Erkrankung als vielmehr um ein Spektrum an Erkrankungen. Grob unterscheiden kann man zwischen einer Verhaltensvariante der FTD und einer Sprachvariante. Es gibt aber auch Mischformen. Je nach Definition gehören auch atypische Parkinsonsyndrome und die Amyotrophe Lateralsklerose als Erkrankung der Motoneurone dazu. Bei der Sprachvariante treten sprachbezogene Störungen auf, bei der Verhaltensvariante kommt es zu Verhaltensänderungen. Es gibt davon zwei Ausprägungen, enthemmt oder inhibiert, die aber auch gemischt auftreten können. Häufig kommt es zum Verlust von Umgangsformen, sozial nicht angemessenem Verhalten, Gefühlskälte, dem Bestehen auf Ritualen, repetitiven Verhaltensweisen, Veränderungen des Essverhaltens, aber auch zu Interessensverlust und Antriebsmangel. Erst später im Verlauf können auch Gedächtnisstörungen hinzukommen.

Welche Bereiche des Nervensystems sind betroffen?
Es kommt zu einem fortschreitenden Verlust von Nervenzellen im Stirn- und Schläfen-Lappen des Gehirns.

Was weiß man über die Ursachen?
Ein Teil der Frontotemporalen Demenzen ist genetisch bedingt. Hauptsächlich geht es dabei um Mutationen in den Erbanlagen des Tau-Proteins, des Progranulin-Proteins oder um Veränderungen im Gen des Proteins C9orf72. Gründsätzlich beobachtet man bei den Erkrankungen des FTD-Spektrums unterschiedliche molekulare Pathologien: Bei der Verhaltensvariante ist das am häufigsten eine Pathologie des Proteins Tau bzw. des Proteins TDP43, die letztlich zum neuronalen Funktionsverlust und Absterben der Nervenzellen führen. 

Wie wird die Erkrankung diagnostiziert? 
Durch eine Kombination aus Verhaltensbeobachtungen, der Befragung von Angehörigen, neurologischen Untersuchungen, MRT-Bildgebung des Gehirns und Untersuchungen des Liquors, also des sogenannten Nervenwassers. Auch ein PET-Scan, also eine Untersuchung mittels Positronen-Emissions-Tomographie, kann wichtige Hinweise liefern. Die PET-Untersuchung wird von den gesetzlichen Krankenkassen allerdings nicht vergütet.

Wie viele Patienten gibt es in Deutschland? 
Ca. 33.000 Betroffene, je nach Definition, da es sich bei FTD um einen Überbegriff für verschiedene Erkrankungen handelt. Häufig ist nur die Verhaltensvariante gemeint. Zum Spektrum der FTD-Erkrankungen gehören aber auch die beiden Subformen der Sprachvariante, man nennt sie auch „Primär Progressive Aphasien“. Und je nach Definition werden auch die Progressive Supranukleäre Blickparese und die Amyotrophe Lateralsklerose dazugezählt. 

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es? 
Leider gibt es noch keine Therapie, man kann lediglich die herausfordernden Verhaltensweisen mit Psychopharmaka behandeln und bei den Sprachvarianten versuchen, mit Sprachtherapie zu unterstützen. Mehrere Pharmaunternehmen bereiten gerade experimentelle Therapiestudien vor. Die Wirkstoffe sollen die Ursachen der Erkrankung bekämpfen. 

Woran wird geforscht? 
Am DZNE werden zum einen die molekularen Ursachen der FTD in Zellkultur und sogenannten Mausmodellen untersucht, zum anderen werden Biomarker für die Diagnostik der Erkrankung erforscht. Denn zurzeit ist es noch nicht möglich, die genaue molekulare Ursache (Tau oder TDP43) bei einem individuellen Patienten festzustellen, sofern keine vererbte Form vorliegt. Diese Einordnung ist aber wichtig, um Patienten für passende experimentelle Therapiestudien zuordnen zu können. Außerdem betreibt die klinische Forschung am DZNE eine große Beobachtungsstudie (DESCRIBE-FTD). Patienten, Verwandte und gesunde Kontrollpersonen werden dabei längsschnittlich, also über einen längeren Zeitraum untersucht. Ziel ist es, in Zusammenarbeit mit Arbeitsgruppen aus der Grundlagenforschung neue diagnostische Marker und genetische Ursachen zu identifizieren und Erkenntnisse über den Krankheitsverlauf zu gewinnen. Letztlich geht es darum, neue Therapien zu entwickeln und zu testen. Zudem beschäftigt sich die Versorgungsforschung am DZNE mit der Lebensqualität und Versorgungslücken von Betroffenen und Angehörigen.

Huntington - Prof. Albert Ludolph

Die Huntington-Erkrankung ist nach dem US-amerikanischen Arzt George Huntington (1850 – 1916) benannt. Es handelt sich um eine erblich bedingte und bislang unheilbare Nervenerkrankung. Erläuterungen dazu von Prof. Albert Ludolph, Sprecher des DZNE-Standorts Ulm und Ärztlicher Direktor der Klinik für Neurologie der Universität Ulm.

Wie äußert sich die Huntington-Erkrankung?
Die Huntington-Erkrankung äußert sich einerseits durch eine Bewegungsstörung, andererseits mit Auffälligkeiten der Kognition und des Verhaltens. Zu den letzteren gehören Störungen der Impulskontrolle, aber auch der Aufmerksamkeit und Konzentration. Die Bewegungsstörung äußert sich durch Hyperbeweglichkeit und Veränderungen des Muskeltonus, die in bizarren Bewegungsmustern resultieren. Mit der Huntington-Erkrankung ist ebenfalls eine katabole Stoffwechsellage assoziiert, die zu einem massiven Gewichtsverlust führt. Die Erkrankung ist progredient, sie hat also einen voranschreitenden Verlauf; sie kann sowohl im Kindesalter bis zum hohen Alter ausbrechen.

Welche Bereiche des Nervensystems sind betroffen?
Die Huntington-Erkrankung erfasst das gesamte zentrale Nervensystem; allerdings sind einige Strukturen bevorzugt betroffen. Dazu gehören vor allem die sogenannten Basalganglien, die zur Kontrolle der unwillkürlichen Bewegungen notwendig sind. Aber auch Störungen der Hirnrinde stehen im Vordergrund, diese wiederum sind für die kognitiven und Verhaltenseinschränkungen verantwortlich.

Was weiß man über die Ursachen?
Die Ursache der Erkrankung ist ein Gendefekt, der zu einer Verlängerung einer sogenannten Trinukleotidsequenz führt. Dieser Gendefekt erklärt nach heutigem Wissensstand etwa 70% des gesamten Krankheitsbildes. Etwa 30% der ursächlichen Faktoren sind unbekannt, sie reichen von weiteren, modifizierenden Genen bis zu Umweltfaktoren.

Wie wird die Erkrankung diagnostiziert?
Es handelt sich um ein klassisches klinisches Bild, wie oben geschildert. Dies wird durch den Gendefekt dann erhärtet.

Wie viele Patienten gibt es in Deutschland?
Man muss unterscheiden, wie viele Menschen in Deutschland das Huntington-Gen tragen und wie viele Menschen Symptome haben. Für die letztere Gruppe gibt es exakte Zahlen, man rechnet in etwa 10.000 symptomatische Patienten.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Hier muss man die symptomatische Therapie von einer eher kausal orientierten Therapie unterscheiden. Bei der symptomatischen Therapie kann man vor allem die Bewegungsstörung medikamentös beeinflussen; Ziel ist es, die Sturzgefahr zu minimieren,  die durch die Überbeweglichkeit resultiert. Allerdings sind rehabilitative Maßnahmen, die vor allem auch mit dem Ziel der sozialen Integration einhergehen, mindestens genauso wichtig wie die medikamentöse Therapie.

Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Ernährung; man versucht, die katabole Stoffwechsellage zu beeinflussen. Ob dies kausal oder symptomatisch wirkt, ist nach heutigem Wissensstand nicht bekannt.

Die größte Hoffnung liegt auf einer Therapie, die die Expression des kranken Eiweißes herunterreguliert. Erste Studien legen eine sehr gute Erfolgsaussicht dieser Herangehensweise nahe; derzeit werden die entscheidenden Studien durchgeführt.

Woran wird geforscht?
Der wichtigste Neuansatz ist die Veränderung der Genexpression; hierbei kommt es darauf an, das toxische Eiweiß, das durch das veränderte Gen produziert wird, in seiner Expression zu reduzieren. Allerdings weiß man noch nicht, wie weit man gehen darf; das kranke Protein, das Huntingtin, hat auch eine normale Funktion in unserem Körper.

Kinderdemenz - Prof. Jutta Gärtner

Demenz-Erkrankungen machen sich zumeist erst im späteren Erwachsenenalter bemerkbar – wie beispielsweise Alzheimer. Allerdings können degenerative Hirnerkrankungen auch in jungen Jahren auftreten. Mehr als 200 verschiedene Erkrankungen sind mittlerweile bekannt, die die kognitiven Fähigkeiten von Kindern beeinträchtigen. Diese Erkrankungen sind selten, doch ihre Auswirkungen sind schwerwiegend. Einblicke dazu von Prof. Jutta Gärtner. Sie forscht am DZNE-Standort Göttingen über neurodegenerative Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter und ist Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Universitätsmedizin Göttingen.

Wie äußert sich eine Kinderdemenz? Wie ist der Verlauf?
Die meisten von uns bringen eine Demenz mit Alzheimer oder Parkinson in Verbindung, häufige Erkrankungen, die für das fortgeschrittene Erwachsenenalter charakteristisch sind. Diese sogenannten neurodegenerativen Erkrankungen beschränken sich jedoch nicht auf Erwachsene. Es gibt eine Vielzahl seltener bis sehr seltener erblicher neurodegenerativer Erkrankungen, die sich bereits im Kindes- oder Jugendalter manifestieren.
In den meisten Fällen entwickeln sich die betroffenen Kinder anfangs völlig unauffällig und scheinen gesund. Abhängig von der jeweiligen Erkrankung kommt es dann aber zu einem plötzlichen oder schleichenden unaufhaltsamen Verlust bereits erworbener motorischer und kognitiver Fähigkeiten, Seh- und Hörstörungen sowie zerebraler Krampfanfälle. Die Erkrankungen verlaufen progredient und führen meist in den ersten beiden Lebensjahrzehnten zum Tod.

Welche Bereiche des Nervensystems sind betroffen?
Oftmals sind es vor allem die Nerven- oder Gliazellen im zentralen Nervensystem, die im Zuge der Erkrankung zugrunde gehen. Aufgrund unterschiedlicher genetischer Ursachen unterscheiden sich die Erkrankungen aber hinsichtlich der betroffenen Zelltypen und Hirnbereiche und damit auch in Bezug auf die klinische Symptomatik und den Krankheitsverlauf. Ebenso wichtig ist das Alter bei der Erstmanifestation und damit der unterschiedliche Entwicklungsstand des Gehirns.

Was weiß man über die Ursachen?
Ursächlich für Kinderdemenzen sind oftmals monogenetische Erkrankungen des Gehirnstoffwechsels. Diese werden durch pathologische Mutationen in einzelnen Genen verursacht, die zumeist autosomal-rezessiv vererbt werden. Krankheitsverursachende Mutationen führen dabei zu Funktionsausfällen bestimmter Enzyme oder Transporter, die an spezifischen Stoffwechselwegen im zentralen Nervensystem beteiligt sind. Als Folge fehlen wichtige Bausteine für den Aufbau oder den Erhalt der betroffenen Zellen oder schädliche Stoffwechselprodukte können nicht mehr abgebaut werden. Diese Prozesse stören erst die Zellfunktion, führen dann zum Untergang der Zellen und schließlich zu irreversiblen Hirnschäden.

Wie wird die Erkrankung diagnostiziert?
Aufgrund der Seltenheit der einzelnen Erkrankungen und der gerade anfangs oft unspezifischen klinischen Symptomatik kann viel Zeit vergehen, bis die Diagnose gestellt werden kann. Wichtiger Hinweis ist die Kombination aus Verlust bereits erworbener kognitiver und motorischer Fähigkeiten, Seh- und/oder Hörverlust und Krampfanfällen. Der Ausbruch der Erkrankung und das zeitliche Auftreten bzw. die Reihenfolge, mit der die Symptome beobachtet werden können, sind jedoch variabel und hängen von der jeweiligen Erkrankung ab. Nachweisen lassen sich bestimmte Erkrankungen über krankheitsspezifische Stoffwechselprodukte in Körperflüssigkeiten wie Blut, Urin oder Rückenmarksflüssigkeit, über eine spezifische enzymatische Aktivität in Körperzellen oder durch den molekulargenetischen Nachweis einer charakteristischen Mutation in einem potentiell krankheitsverursachenden Gen.

Wie viele Patienten gibt es in Deutschland?
Genaue Fallzahlen lassen sich kaum angeben, derzeit sind mehr als 250 kindliche neurodegenerative Erkrankungen bekannt. Als monogenetische Erkrankungen gehören die Kinderdemenzen zu den seltenen Erkrankungen. Manche der kindlichen neurodegenerativen Erkrankungen sind so selten, dass weltweit nur wenige Dutzend Patienten beschrieben sind. Zusätzlich werden fortlaufend neue kindliche neurodegenerative Erkrankungen entdeckt. Dazu kommt, dass im Zuge moderner molekulargenetischer Diagnoseverfahren mittlerweile mehr und mehr Patienten mit ungewöhnlichen Verläufen und Symptomkombinationen identifiziert werden können, die vorher keine Diagnose erhalten haben.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Als genetische Erkrankungen sind Kinderdemenzen ursächlich nicht heilbar. Meist mangelt es an wirksamen Therapieoptionen, sodass die Behandlung rein symptomatisch erfolgen muss. Da unterschiedliche Gene betroffen sind, ist es auch nicht möglich, einen einzigen Wirkstoff zu entwickeln, der bei sämtlichen Formen der Kinderdemenz eingesetzt werden könnte.
Für einige wenige dieser schwerwiegenden kindlichen Erkrankungen konnten jedoch bereits wirkungsvolle Therapieansätze etabliert werden, indem den Patienten das fehlende Enzym oder die fehlende Stoffwechselkomponente regelmäßig von außen zugeführt wird. Ein Beispiel ist die von uns in 2009 erstbeschriebene zerebrale Folatdefizienz. Hier konnten wir zwischenzeitlich erfolgreich eine kurative Therapie etablieren, die bei betroffenen Kindern und Jugendlichen die Neurodegeneration und damit die dementielle Entwicklung verhindert. Die zerebrale Folatdefizienz gehört damit zu den wenigen derzeit behandelbaren Demenzerkrankungen. Bei manchen Erkrankungen in frühen Stadien zeigen auch Stammzelltransplantationen und Gentherapien einen positiven Effekt auf den Krankheitsverlauf. 

Woran wird geforscht? Welche neuen Ansätze werden untersucht?
Ein Schwerpunkt unserer Arbeiten ist neben der Entwicklung von Zell- und Gentherapieansätzen das sogenannte „Drug Repurposing“. Dabei werden bereits zugelassene Arzneimittel für neue therapeutische Zwecke getestet. In manchen Fällen ist es dabei möglich, die defekten Stoffwechselprozesse und Signalwege im Gehirn günstig zu beeinflussen und das Fortschreiten der Erkrankungen aufzuhalten.

Parkinson - Prof. Thomas Gasser

Insgesamt betrachtet gilt Morbus Parkinson als die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung nach Alzheimer. Die überwiegende Mehrzahl der Krankheitsfälle tritt „sporadisch“ auf - man sagt auch „idiopathisch“, was so viel bedeutet wie „ohne erkennbare Ursache“. Ein kleiner Teil der Parkinson-Erkrankungen ist allerdings genetisch bedingt (man spricht auch von der „familiären“ bzw. der „erblichen“ Form). Was weiß man über diese spezielle, seltene Variante von Parkinson? Antworten dazu von Prof. Thomas Gasser, Direktor der Klinischen Forschung am DZNE-Standort Tübingen:

Wie äußert sich die erbliche Form der Parkinson-Erkrankung?
Die Symptome sind bei der Parkinson-Erkrankung sehr heterogen, kein Patient gleicht vollkommen dem anderen. Das gilt für sporadische und genetische Formen. Zu den bekanntesten und im fortgeschrittenen Stadium sichtbar werdenden Symptomen gehören Bewegungsstörungen: Ein vornüber gebeugter Gang, Muskelversteifungen, kleine langsame Schritte, Ruhetremor, Stürze, reduzierte Mimik oder eine kleiner werdende Handschrift. Im Frühstadium der Erkrankung hingegen können Depressionen, Schlafstörungen, Verstopfung, Störungen des Geruchssinns, eine leisere, monotone Stimme, das fehlende Mitschwingen eines Armes beim Gehen oder Schmerzen im Nacken- und Schulterbereich auftreten.

Wie ist der Verlauf?
Das ist unterschiedlich: Je nach Gen kann der Verlauf milder oder schwerer sein als bei dem Durchschnitt der sporadischen Parkinson. Grundsätzlich ist Parkinson eine fortschreitende Erkrankung, deren Verlauf beim einzelnen Patienten nicht sicher vorausgesagt werden kann.

Welche Bereiche des Nervensystems sind betroffen?
Immer betroffen sind die dopaminproduzierenden Zellen des Hirnstamms, der an der Koordination unserer Bewegungen beteiligt ist: Im Gehirn gibt es die sogenannte Substantia Nigra, die „Schwarze Substanz“. Das ist eine kleine, dunkelfarbige Ansammlung von etwa 400.000 Zellkernen. In der Substantia Nigra wird bei gesunden Menschen Dopamin gebildet, ein Botenstoff, der eine wichtige Rolle für Bewegungen und Koordination spielt. Bei Parkinson-Betroffenen ist sie zerstört, sodass ihnen Dopamin fehlt, was dann zu den Parkinson-typischen Bewegungsstörungen führt. Darüber hinaus können auch andere Bereiche betroffen sein, abhängig vom Gen und individueller Variante.

Was weiß man über die Ursachen?
Bei den genetischen Parkinson-Formen sind es Mutationen, also Veränderungen der Erbinformation, die in einer ganzen Reihe von verschiedenen Genen lokalisiert sein können. Es gibt mindestens sechs „relativ häufige“ − auch die sind recht selten ─ und noch eine ganze Reihe SEHR seltene Genmutationen. Am häufigsten bei uns in Deutschland sind Mutationen des sogenannten GBA-Gens. Diese Genmutation stört die Aktivität eines Enzyms, das normalerweise im Stoffwechsel von Gehirnzellen aktiv ist und im Inneren der Zellen zuckerhaltige Fettstoffe unschädlich macht und abbaut. Durch diese Aufhäufung schädlicher Stoffe sterben die Gehirnzellen schließlich ab. Mutationen des GBA-Gens werden bei etwa 5 – 10 Prozent aller Patienten gefunden, führen aber nicht zwingend zur Erkrankung, sondern nur bei einem Teil der Mutationsträger.

Wie wird die Erkrankung diagnostiziert?
Die Erkrankung wird klinisch diagnostiziert, nach einer körperlichen und neurologischen Untersuchung. Die Symptome sind dabei ein wichtiges Kriterium für die Diagnose. Die genetische Ursache finden wir dann durch Gensequenzierung. Dabei handelt es sich um eine molekularbiologische Laboranalyse. Mit deren Hilfe können wir das genetische Material, das vom Patienten zur Verfügung steht – also dessen Erbgut ─ entziffern und Genmutationen entdecken, die Parkinson verursachen.

Wie unterscheidet sich die erbliche Form der Parkinson-Erkrankung von der weitaus häufigeren „spontanen“ Variante?
Im Schnitt sind Patienten mit familiärer Parkinson etwas jünger bei Erkrankungsbeginn. Meist tritt die erbliche Form vor dem 50. Lebensjahr auf.

Wie viele Patienten gibt es in Deutschland?
Es gibt 200.000 bis 300.000 Parkinsonpatienten in Deutschland, bei schätzungsweise 10 Prozent davon besteht eine genetische Ursache der Erkrankung.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Die Symptome werden bei den genetischen Formen genauso behandelt wie bei den sporadischen: Seit vielen Jahren setzt man den Antiparkinson-Wirkstoff L-Dopa ein, der die Dopaminkonzentration im Hirnstamm erhöhen soll. Das gleicht den Dopaminmangel aus, der bei Parkinson aufgrund des Verlustes von dopaminergen Nervenzellen in der schwarzen Substanz des Gehirns zustande kommt. Bei genetischen Formen wird aber zusätzlich in Studien versucht, die Folgen des Gendefekts direkt zu korrigieren oder abzumildern. Dabei werden gentechnisch modifizierte Viren injiziert, die die Dopaminausschüttung steigern sollen. Außerdem dienen Physio- und Ergotherapie, Logopädie und Entspannungsübungen, die Mobilität so lange wie möglich zu erhalten.

Woran wird geforscht? Welche neuen Ansätze werden untersucht?
Konkret fokussieren wir uns am DZNE auf die GBA-Genmutation: Diese erforschen wir an allen DZNE-Standorten in der MIGAP-Studie. Im Rahmen dieser Studie werden insgesamt 400 Studienteilnehmer mit und ohne Parkinson im Alter von 40 bis 90 Jahren untersucht, wobei in beiden Gruppen Menschen mit und ohne GBA-Genmutation sind. Unser Ziel ist eine geno- und phänotypische – also die genetische Zusammensetzung und die sichtbaren Eigenschaften betreffende – Charakterisierung von GBA-assoziiertem Parkinson hinsichtlich motorischer und nicht-motorischer Symptome. Zudem wollen wir spezifische Biomarker in Blut, Nervenwasser und Zellmodellen identifizieren, die GBA-assoziiertes Parkinson aufdecken.

Retinitis Pigmentosa - Dr. Mike O. Karl

Die genetisch bedingte Erkrankung „Retinitis Pigmentosa“ geht mit dem Absterben von Nervenzellen der Netzhaut einher. Dies kann langfristig zur Erblindung führen. Dr. Mike Karl, Forschungsgruppenleiter am DZNE-Standort Dresden, erläutert, was über diese Augenerkrankung bekannt ist.

Wie äußert sich eine Retinitis Pigmentosa?
Die Retinitis Pigmentosa, kurz RP genannt, beginnt in den meisten Fällen mit einer starken Verringerung der Sehfähigkeit bei Dämmerlicht (Nachtblindheit). Weiterhin kommt es zum Sehverlust mit einer Einschränkung im Gesichtsfeld, dem sogenannten Tunnelblick. Patienten können sich dadurch kaum noch alleine sicher fortbewegen, und benötigen blindenspezifische Orientierungshilfen und den sogenannten Blindenstock.

Wie ist der Verlauf?
Zumeist kommt es bei der RP durch ein Absterben von den sogenannten Fotorezeptorzellen in der Netzhaut zum Sehverlust. Die Fotorezeptorzellen der Netzhaut ermöglichen uns die Detektion des Lichts und damit das Sehen. Die RP beginnt in der Regel am äußeren Rand der Netzhaut, sodass zuerst das periphere Gesichtsfeld und das Sehen „aus dem Augenwinkel“ betroffen ist. Das zentrale hochauflösende Sehen, welches wir zum Beispiel für das Lesen und das Farbensehen benötigen, ist erst im späteren Verlauf betroffen. Allerdings zeigt sich die Erkrankung bei allen Patienten bereits im frühen Kindesalter. Das ist zum Beispiel der Fall bei Mutationen, also angeborenen Defekten im Erbgut, im Gen RPE65. Daher kommt es oft schon im jungen Erwachsenenalter zu einer deutlichen Einschränkung des Sehvermögens.

Welche Bereiche des Nervensystems sind betroffen?
Die RP ist eine Gruppe von erblichen Netzhauterkrankungen, die zum Sehverlust führen. Zumeist ist die Netzhaut alleine betroffen. Weiterhin gibt es aber auch RP-Formen, die im Rahmen eines Syndroms auftreten, das heißt, es sind auch andere Teile des Nervensystems betroffen. Als Beispiel sei das Usher-Syndrom genannt, bei dem es zum gemeinsamen Hör- und Sehverlust kommt.

Was weiß man über die Ursachen?
Die RP ist eine seltene Erkrankung aufgrund einer angeborenen Genmutation. Dies führt zu schädlichen Veränderungen in der Netzhaut und damit zum Sehverlust. Dabei reicht eine einzige Genmutation aus, um eine RP zu erleiden. Bis heute sind etwa 50 Gene bekannt, die Defekte aufweisen können. Ein Beispiel: Rhodopsin ist ein Molekül, genauer gesagt. ein Sehpigment in unseren Photorezeptorzellen, welches für den Sehprozess unerlässlich ist und uns die Detektion des Lichtes ermöglicht. Mutationen im Gen für Rhodopsin führen zum Absterben der Photorezeptoren-Zellen und damit zum Sehverlust.

Wie wird die Erkrankung diagnostiziert?
Durch Untersuchungen der Sehfähigkeit und der genauen Veränderungen in der Netzhaut kann der Augenarzt die RP erkennen. Die genaue Form der RP wird basierend auf dem klinischen Bild, der Familiengeschichte und einem Gentest ermittelt.

Wie viele Patienten gibt es in Deutschland?
In Deutschland geht man von etwa 30.000 bis 40.000 Patienten aus, das heißt im Durchschnitt ist etwa eine Person von 4.000 betroffen, die an einer der verschiedenen Formen der RP leidet. Genaue Zahlen sind aber noch nicht bekannt.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Leider gibt es für die meisten Patienten noch keine effektive Behandlungsmöglichkeit. Die Entwicklung der Gentherapie, also die Korrektur des zugrundeliegenden Fehlers im Erbgut, ist auf dem Vormarsch. Aber es werden viele unterschiedliche Gentherapien ─ mehr als 200 ─ benötigt, um alle Patienten behandeln zu können. Die Entwicklungskosten sind leider noch sehr hoch. Seit 2018 gibt es erstmalig eine zugelassene Gentherapie für eine bestimmte Form der RP, die durch einen Defekt im Gen RPE65 verursacht wird.

Woran wird geforscht? Welche neuen Ansätze werden untersucht?
Es gibt viele verschiedene Bereiche in der Grundlagen- und der klinischen Forschung, die sich intensiv mit der RP beschäftigen. Eine neue Möglichkeit und Chance für die RP-Forschung kommt aus dem Bereich der Forschung zur embryonalen Entwicklung der Netzhaut. Seit einigen Jahren kann man im Labor menschliche Zellen und ganze dreidimensionale menschliche Netzhautgewebe, sogenannte Organoide, herstellen. Diese werden aus sogenannten pluripotenten Stammzellen gezüchtet. Man erhofft sich von diesen neuartigen menschlichen Zellkultur-Modellen, die Netzhauterkrankungen besser analysieren zu können. Zum einen wollen wir mit solchen Modellen die Mechanismen von Erkrankungen entschlüsseln, um damit neue Therapien zu finden und bisherige Therapien zu optimieren. Sowohl Gen-, Medikament- und Zellersatztherapien möchten wir entwickeln. Ein zukünftiges Ziel sind außerdem präventive Maßnahmen, insbesondere solche, die möglichst viele RP-Formen verhindern oder sie stark verlangsamen, so dass eine Therapie für viele Patienten wirksam wäre.

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