Alzheimer: keine Ansteckungsgefahr bei alltäglichem Kontakt mit Patienten, trotz Hinweisen auf Übertragbarkeit unter extrem seltenen Bedingungen

Studie in „Nature Medicine“

Forschende aus Großbritannien berichten im Wissenschaftsjournal Nature Medicine (Ausgabe 29. Januar 2024), dass in seltenen Fällen eine Alzheimer-Erkrankung übertragbar sein könnte – und zwar infolge spezieller medizinischer Maßnahmen, bei denen aus dem Gehirn gewonnenes Material zwischen Menschen transferiert wird. Im Fachjargon spricht man von „iatrogener“ (medizinisch verursachter) Übertragung.Die Befunde deuten jedoch nicht darauf hin, dass Alzheimer im alltäglichen Kontakt mit erkrankten Personen ansteckend sein könnte.

„Es gibt keinerlei Belege dafür, dass Alzheimer eine Infektionskrankheit ist, also ansteckend sein könnte. Auch die jetzt veröffentlichten Ergebnisse ändern nichts an dieser Einschätzung. Der Umgang mit Alzheimerpatientinnen und -patienten und deren Pflege stellt kein Risiko dar“, betont Prof. Christian Haass, Biochemiker und Sprecher des DZNE-Standorts München. „Die Befunde, die aktuell diskutiert werden, beruhen auf sehr speziellen Fällen. Dabei wurden Menschen mit Hormonen behandelt, die aus dem Hirngewebe verstorbener Menschen gewonnen wurden. Zudem stützen sich die Befunde auf eine nur kleine und zugleich komplexe Datenlage. Bei der Interpretation dieser Daten ist daher eine gewisse Skepsis angebracht. Sofern es die hier diskutierten Fälle einer erworbenen Alzheimer-Erkrankung tatsächlich gibt, dürften sie extrem selten sein.“

Kernpunkte der Veröffentlichung

Die aktuelle Studie im Fachjournal „Nature Medicine“ stammt von einem Forschungsteam des University College London (UCL) und knüpft an frühere Untersuchungen aus derselben Arbeitsgruppe an. Grundlage sind diesmal Befunde bei acht Erwachsenen, die in ihrer Jugend Wachstumshormone erhielten; diese Hormone waren aus dem Hirngewebe verstorbener Menschen hergestellt worden – ein Verfahren, das heutzutage nicht mehr angewendet wird. Rund 30 Jahre nach der Behandlung entwickelten fünf der acht untersuchten Personen kognitive Beeinträchtigungen, die den Kriterien einer Alzheimer-Erkrankung entsprachen. Von den übrigen drei Personen hatte eine leichte Gedächtnisbeschwerden, eine andere hatte nur subjektiv empfundene Beschwerden, die dritte war symptomlos – Biomarker im Blut zeigten jedoch für Alzheimer typische Auffälligkeiten.

Letztlich geht es bei dieser Veröffentlichung um sogenannte Amyloid-beta-Peptide. Diese Eiweißstoffe werden vom menschlichen Organismus natürlicherweise produziert und für gewöhnlich abgebaut. Bei einer Alzheimer-Erkrankung verändern diese Moleküle jedoch ihre normale Form und reichern sich – zusammengeballt zu mikroskopischen Ablagerungen, den sogenannten „Plaques“ – im Gehirn an. Die Forschenden des UCL vermuten nun aufgrund diverser Daten und Beobachtungen, dass die eingangs erwähnten Hormonpräparate mit abnormal gefalteten Amyloid-beta-Peptiden verunreinigt waren und diese Eiweißstoffe durch die Behandlung übertragen wurden. Infolgedessen sei ein langwieriger Prozess angestoßen worden, der Jahre später zu einer Alzheimer-Erkrankung führte.

Die Autoren der Studie weisen in ihrer Studie explizit darauf hin, dass eine derartige Übertragung von Alzheimer wahrscheinlich selten ist, zumal Wachstumshormone, die von verstorbenen Menschen stammen, heute nicht mehr verabreicht werden. Gleichzeitig betonen sie die Notwendigkeit, dem Transfer von abnormal gefalteten Amyloid-beta-Peptiden durch andere medizinische Verfahren vorzubeugen.

Diskussion um den Krankheitsmechanismus

Die aktuelle Veröffentlichung ist auch vor dem Hintergrund einer seit längerem diskutierten Theorie zum Mechanismus der Alzheimer-Erkrankung zu sehen: Demnach zwingen abnorme Amyloid-beta-Peptide nach und nach anderen, zunächst normalen Amyloid-beta-Peptiden eine ebenfalls abnorme Gestalt auf. Durch diesen Dominoeffekt breitet sich der krankhafte Prozess im Gehirn aus. Dabei lagern sich die Eiweißstoffe zu immer größeren Aggregaten zusammen, von denen sich kleinere Teile ablösen können („Seeds“ genannt), die das pathologische Geschehen zusätzlich verbreiten. Labor- und Tierversuche stützen diese These. Beim Menschen ist ein solches Phänomen von den sehr seltenen, aber tödlichen Prionen-Erkrankungen wie der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit bekannt. Diese Hirnleiden werden durch krankmachende, abnormal gefaltete Eiweißstoffe – „Prionen“ genannt – ausgelöst. Eine Übertragbarkeit der Alzheimer-Erkrankung würde belegen, dass beim Menschen schon geringe Mengen abnormaler Amyloid-beta-Peptide eine pathologische Kaskade in Gang setzen können, wie es bei den Prionen-Erkrankungen der Fall ist.

„Die vorliegenden Studienergebnisse sind äußert interessant, aber angesichts einer Datenbasis mit nur wenigen Personen unter Vorbehalt zu sehen. Dennoch befeuern sie die Diskussion um einen Prion-ähnlichen Mechanismus bei Alzheimer“, so Prof. Mathias Jucker, Neurobiologe und Forschungsgruppenleiter am DZNE-Standort Tübingen. „Wenn ein solcher Mechanismus der Alzheimer-Erkrankung tatsächlich zugrunde liegt, wäre dies ein schlagendes Argument für Amyloid-beta als wichtiges Zielobjekt der Therapie. In der Tat setzen neueste Alzheimer-Medikamente bei diesem Eiweißstoff an und bremsen den Krankheitsverlauf etwas ab. Sie zielen jedoch vorwiegend auf vergleichsweise große Aggregate von Amyloid-beta. Im Fall eines Prion-ähnlichen Verhaltens wäre es jedoch naheliegend, mit entsprechenden Wirkstoffen bereits kleinste Aggregate dieses Moleküls anzugehen. Das könnte eine Chance sein, den pathologischen Prozess an den Wurzeln zu packen.“

„Ein Aspekt, der in diesem Zusammenhang auch von Bedeutung ist, ist der Umgang mit Biomaterial, das bekanntermaßen abnormal gefaltetes Amyloid-beta-Peptide enthält oder potenziell enthalten könnte. Das betrifft zum Beispiel Hirnoperationen aber auch Experimente in Forschungslaboren. Grundsätzlich halte ich die Risiken, die hiervon ausgehen, für gering. Wichtig ist, dass bestehende Sicherheitsmaßnahmen konsequent eingehalten werden und immer wieder an die neue Datenlage angepasst werden“, so Jucker.

Weitere Informationen

Originalveröffentlichung
Iatrogenic Alzheimer’s disease in recipients of cadaveric pituitary-derived growth hormone.
Banerjee et al. Nature Medicine (2024).
https://www.nature.com/articles/s41591-023-02729-2

Kommentar („News & Views“)
Evidence for iatrogenic transmission of Alzheimer’s disease.
Mathias Jucker & Lary C. Walker.
Nature Medicine (2024).
https://www.nature.com/articles/s41591-023-02768-9

Januar 2024

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