Tau-Proteine: Neuer Ansatz gegen Alzheimer im klinischen Test


Ein neuartiger Wirkstoff gegen Alzheimer hat in einer Studie mit über 30 Patientinnen und Patienten eine gute Verträglichkeit bewiesen. Das experimentelle Medikament zielt darauf ab, die Produktion eines für die Erkrankung relevanten Eiweißstoffes – des sogenannten Tau-Proteins – im Gehirn zu drosseln. An der internationalen Untersuchung waren auch Fachleute des DZNE aus Bonn und Ulm beteiligt. Die Ergebnisse sind im Fachjournal „Nature Medicine“ veröffentlicht. In einer schon gestarteten Folgestudie soll nun getestet werden, ob das Arzneimittel eine Alzheimer-Erkrankung und deren Symptome auch tatsächlich eindämmen kann.

Im gesunden Gehirn stabilisieren Tau-Proteine das Gerüst von Nervenzellen. In Zuge einer Alzheimer-Erkrankungen lösen sie sich jedoch von diesem Gerüst und ballen sich innerhalb der Zellen zu winzigen Aggregaten. „Diese Verklumpungen gehen mit dem Tod von Nervenzellen einher. Man findet die Tau-Proteine dann auch vermehrt im Nervenwasser“, erläutert Prof. Anja Schneider, Forschungsgruppenleiterin am DZNE und Direktorin der Klinik für Neurodegenerative Erkrankungen und Gerontopsychiatrie am Universitätsklinikum Bonn. „Wie genau die Proteine zum Zelltod beitragen ist, zwar noch nicht vollständig verstanden. Es ist aber klar, dass sie für Alzheimer eine entscheidende Rolle spielen, ebenso wie die Amyloid-Beta-Proteine, die ebenfalls verklumpen, jedoch außerhalb der Zellen. Schon länger gibt es daher Überlegungen, die Produktion von Tau-Proteinen im Gehirn zu drosseln. Studien an Mäusen deuten darauf hin, dass sich dadurch Nervenschädigungen reduzieren und kognitive Störungen abmildern lassen.“

Verabreichung über den Spinalkanal

Das genau ist Ziel des nun getesteten Medikaments, das von dem Unternehmen „Ionis Pharmaceuticals“ entwickelt wurde. Wobei sich die klinische Prüfung noch in den Anfängen befindet: Bei der aktuellen Untersuchung, einer sogenannten 1b-Studie, wurde im Wesentlichen nur die Verträglichkeit des Wirkstoffs getestet. Dafür wurde das Mittel mit einer Nadel in einen Zwischenraum im Bereich der Lendenwirbelsäule gespritzt. Über den Spinalkanal – dieser verläuft längs der Wirbelsäule und enthält Nervenwasser – konnte der Wirkstoff dann bis ins Gehirn gelangen. Insgesamt 46 Frauen und Männer mit milden Alzheimer-Symptomen nahmen an der Studie teil: 34 Probanden erhielten den experimentellen Wirkstoff, 12 ein Scheinmedikament. Die Behandlung erfolgte in regelmäßigen Abständen über einen Zeitraum von 13 Wochen, 12 Studienzentren in Europa und Kanada waren daran beteiligt, darunter auch die DZNE-Standorte in Bonn und Ulm. Nach der Behandlung wurden die Versuchsteilnehmenden noch über mehrere Wochen beobachtet. „Der Wirkstoff hat sich als gut verträglich erwiesen. Die häufigste Nebenwirkung waren Kopfschmerzen“, so Anja Schneider, die an der Durchführung der Studie mitwirkte. „Gleichzeitig konnte die Konzentration von Tau-Proteinen im Nervenwasser gesenkt werden. Die klinische Erprobung geht damit in die nächste Phase. Nun muss sich herausstellen, ob das Medikament auch tatsächlich gegen Alzheimer wirkt. Eine entsprechende Studie ist bereits angelaufen. Mit Ergebnissen ist aber erst in einigen Jahren zu rechnen.“

„Gene Silencing“

Bei dem nun getesteten Arzneimittel handelt es sich um ein „Antisense-Oligonucleotid“: Es verringert die Herstellung von Tau-Proteinen im Gehirn, indem es das dafür zuständige Gen quasi leise stellt. Im Fachjargon spricht man von „Gene Silencing“. Dies geschieht, indem sich der Wirkstoff an die sogenannte mRNA heftet – so heißt das Boten-Molekül, das den Bauplan für Tau-Proteine vom Genom zu den Proteinfabriken in den Nervenzellen transportiert. Der neue Wirkstoff unterbricht diese Übermittlung. „Die Antisense-Technik ist ein sehr junger Ansatz. Erst seit einigen Jahren sind entsprechende Medikamente zur Behandlung der SMA zugelassen. Das ist eine seltene Muskelerkrankung. Für Alzheimer ist die Antisense-Technik noch Neuland. Es war hier das erste Mal, dass ein solches Medikament an Patienten getestet wurde“, so Prof. Albert Ludolph, Neurowissenschaftler am DZNE-Standort Ulm und Ärztlicher Direktor der Klinik für Neurologie der Universität Ulm, der an der aktuellen Studie ebenfalls mitwirkte. „Die Hoffnung ist, dass man über das Tau-Protein in die grundlegenden Mechanismen der Alzheimer-Erkrankung eingreift und so die Erkrankung verlangsamen, idealerweise sogar stoppen kann.“

Mögliche Ergänzung zur Anti-Amyloid-Therapie

Der Ulmer Forscher sieht diesen Ansatz als mögliche Ergänzung zu Medikamenten, die sich gegen die eingangs schon erwähnten Amyloid-Proteine richten. Mit „Lecanemab“ ist in den USA ein solches Medikament jüngst auf den Markt gekommen. Für Europa wird die Zulassung von der zuständigen EU-Behörde aktuell geprüft. „Es wäre zu wünschen, wenn man Alzheimer von verschiedenen Seiten angehen könnte. Ob die Antisense-Technik dabei eine Rolle spielen kann, muss sich in künftigen Untersuchungen herausstellen. Die aktuelle Studie hat jedenfalls die Voraussetzung dafür geschaffen“, so Ludolph.

 

Originalpublikation:
Tau-targeting antisense oligonucleotide MAPTRx in mild Alzheimer’s disease: a phase 1b, randomized, placebo-controlled trial, Catherine J. Mummery et al., Nature Medicine (2023), DOI: 10.1038/s41591-023-02326-3

April 2023

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