Aus Bastel-Leidenschaft an die Weltspitze der Forschung

Tau-Forscherin Susanne Wegmann wird den Rainwater Prize for Innovative Early-Career Scientists erhalten. Ein Portrait.

Die Berliner DZNE-Forscherin Susanne Wegmann will das Protein Tau entschlüsseln – jene Substanz, die eine Schlüsselrolle bei der Alzheimer-Erkrankung spielt. Schon heute zählt die junge Biophysikerin zu den renommiertesten Experten auf diesem Gebiet.

Es war an einem Morgen um 7 Uhr, als Susanne Wegmann zum ersten Mal ein menschliches Gehirn sah, das weiß sie noch genau. „Ich war gerade als Post-Doc am Massachusetts General Hospital in Boston, und dort gab es einmal pro Woche ein Neuropathologie-Kolloquium“, erzählt sie im Rückblick. Wegmann war damals schon den Geheimnissen von Tau-Proteinen in der Alzheimer-Demenz auf der Spur, aber sie beschäftigte sich vor allem mit den Feinheiten der Proteine und nicht mit dem Gehirn als Ganzem. „Die Veranstaltung leitete ein renommierter Neurologe, und nach einer kurzen Einführung sind wir in den Anatomie-Saal gegangen und er hat uns gezeigt, welche Spuren die Neurodegeneration im menschlichen Gehirn hinterlässt.“

Das war ein Aha-Moment in der Karriere von Susanne Wegmann, in dem sie erstmals mit eigenen Augen die Verheerungen sah, die ihre kleinen Proteine anrichten können. Heute zählt Wegmann zu den renommierten Forschern auf dem Gebiet des Tau-Proteins und der assoziierten Demenzen: Gerade wurde bekannt, dass sie den Rainwater Prize for Innovative Early-Career Scientists bekommt – mit seinen 200.000 Dollar Preisgeld zählt er zu den angesehensten Auszeichnungen auf dem Feld der Tau-Protein-Gehirnforschung. Seit 2018 arbeitet Susanne Wegmann nach ihren Stationen in der Schweiz und in den USA wieder in Deutschland: Am Berliner Standort des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen leitet sie eine Arbeitsgruppe zum Thema „Proteinprozesse in der Neurodegeneration“. Und nebenbei engagiert sie sich für eine chancengerechte Wissenschaft, unter anderem bei der Alexander von Humboldt-Stiftung.

Dabei begann ihr Weg in die Forschung eigentlich wegen eines Hobbys: Schon in der Schulzeit bastelte Susanne Wegmann gern, sie baute Floße für große Touren auf dem Wasser und war so viel draußen in der Natur, wie es für sie – „ich bin eine echte Westberliner Göre!“ – in der Enge der Großstadt nur ging. Und als sie nach Möglichkeiten suchte, das Basteln zum Beruf zu machen, entdeckte sie das Studium der Biotechnologie. „Da bastelt man an Organismen herum und verändert sie oder guckt sich eben Proteine an – so habe ich mir das damals zumindest gedacht“, sagt sie, und kurz lacht sie auf bei dieser Erinnerung, denn dass sie sich dann an der Technischen Universität Berlin auch mit den Sätzen der Thermodynamik herumschlagen oder sich ein ganzes Semester mit den Fließeigenschaften in Röhren beschäftigen durfte, das ahnte sie am Anfang noch nicht. Aber wann immer es ging, verbiss sie sich in die Feinheiten der Proteine – dieser Eiweiße, die als Signalstoffe oder Transporteure fungieren, aber bei fehlgeleiteter Steuerung so großen Schaden anrichten können.

Unser besonderer Ansatz liegt in der Interdisziplinarität. Es gibt nicht viele, die von der molekularen Struktur bis hin zum menschlichen Gehirn die größeren Zusammenhänge betrachten.
Dr. Susanne Wegmann

Mit ihrer Berliner Arbeitsgruppe konzentriert sie sich auf das Protein Tau. Bei Alzheimer-Patienten bilden sich in den Nervenzellen Ablagerungen von Tau, und Wegmann untersucht, warum das so ist – und wie genau das Protein elementare zelluläre Prozesse beeinflusst. „Man kann sich das so vorstellen, dass Tau die Zellen richtiggehend still legt“, sagt sie: Alle Funktionsweisen betroffener Zellen - von der Transkription über die Genregulierung bis zum Transport von Botenstoffen in den Zellkern hinein - werden von Tau beeinträchtigt und dabei oft verfälscht oder ganz gestoppt. „Auf dem Feld der Tau-Forschung erscheinen jeden Tag neue Publikationen, etliche Arbeitsgruppen auf der ganzen Welt beschäftigen sich damit“, sagt Susanne Wegmann. Um in diesem Wettlauf nicht aufgerieben zu werden, sucht sie sich Nischen. „Unser besonderer Ansatz liegt in der Interdisziplinarität“, erklärt sie den Erfolg ihrer Arbeitsgruppe: „Es gibt nicht viele, die von der molekularen Struktur bis hin zum menschlichen Gehirn die größeren Zusammenhänge betrachten.“

Sechs Jahre lang war sie in den USA, und diese Phase prägt ihre Forschung bis heute. Schon während ihrer Promotion in Dresden und Zürich arbeitete sie an Proteinen und ihrer Faltung. „Damals war es mir noch völlig egal, was für ein Protein ich mir nun gerade anschaue“, erinnert sie sich – aber dann lernte sie Eckhard Mandelkow als Mentor kennen, einen der führenden Forscher auf dem Gebiet des Tau-Proteins und bis zu seiner Emeritierung am DZNE tätig. „Seitdem“, sagt sie und lacht, „habe ich meine Seele dem Tau verschrieben.“ In den USA fing sie nach der Doktorarbeit im Labor von Bradley Hyman in Boston an – auch er eine Koryphäe der Gehirnforschung. „Alle anderen in der Gruppe waren Neurologen oder Pathologen, nur ich hatte noch nie ein Gehirn gesehen.“ Und so saß Susanne Wegmann bei den Besprechungen am Tisch und musste sich erstmal im Thema orientieren. „Wenn die von irgendwelchen Formationen im Hippocampus sprachen, dachte ich immer an Hippos, an Nilpferde“, sagt sie kokettierend und schüttelt den Kopf: Dass der Hippocampus wesentlicher Teil des Gehirns ist, verstand sie schnell – und sowieso hatte sie im Leben wohl noch nie so viel gelesen und gelernt wie in jener Phase in den USA, um schnell Anschluss zu finden. „Die hatten mich deshalb in die Gruppe geholt, weil ich eine unbefangenere Sicht auf das Thema habe. Mit ihrem Wissen vom Gehirn und meinem Hintergrund zur Proteinstruktur konnten wir gemeinsam tolle Ideen umsetzen.“

Dieser Blick von außen trägt dazu bei, dass Susanne Wegmann zu einer der ältesten Kontroversen der Alzheimer-Forschung nur die Schulter zuckt: Ist es Tau oder Amyloid - ein anderes Protein, dass sich bei Patienten im Gehirn verklumpt -, das bei der Entstehung von Alzheimer die wesentliche Rolle spielt? In der Forschung stehen sich seit Jahrzehnten zwei Schulen gegenüber, aber Wegmann hat sich keiner von ihnen angeschlossen. „Alles, was im Gehirn vor sich geht, ist wichtig für die Krankheit, sonst würde es ja vermutlich nicht passieren“, sagt sie: „Es ist mittlerweile recht anerkannt, dass Amyloid der Auslöser ist und Tau gewissermaßen der ausführende Henker.“ Um ans Ziel zu kommen und eine Therapie gegen Alzheimer zu entwickeln, müsse man ohnehin beides verstehen, Tau genauso wie Amyloid – und sie konzentriert sich eben auf alles, was mit Tau zu tun hat.

Ihre Arbeitsgruppe stellt Susanne Wegmann bewusst international zusammen. Gerade hat sie eine promovierte Brasilianerin für ein halbes Jahr als Gastwissenschaftlerin aufgenommen, eine Mexikanerin ist als Post-Doc dabei. Die mittel- und südamerikanische Region bearbeitet sie auch für die Humboldt-Stiftung: Als Henriette-Herz-Scout soll sie vielversprechende Talente entdecken. „Das Problem in dieser und anderen Regionen ist, dass es kaum Chancen für angehende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gibt. Die Länder vermitteln eine sehr gute Schulbildung und haben auch an den Unis sehr talentierte Leute, aber die sind spätestens in der Post-Doc-Phase völlig abgeschnitten. Es gibt einfach keine Stellen und keine Berufsperspektiven.“ Sie will mithelfen, solche Perspektiven zu eröffnen, seit sie die Probleme durch ihre mexikanische Freundin erstmals mitbekam – diese Freundin ist heute Susanne Wegmanns Frau, und zusammen pflegen beide enge Kontakte nach Mittel- und Südamerika.

Und noch ein Thema liegt ihr am Herzen: Sie engagiert sich für eine ausgewogene Publikationspraxis in der Wissenschaft. Mit der Fachzeitschrift EMBO Journal erarbeitet sie Ideen, wie die Prozesse für die Auswahl der Beiträge transparenter werden können. Wie oft und wie prominent Forscherinnen und Forscher ihre Arbeit in solchen Fachzeitschriften platzieren können, ist mitentscheidend für ihre Karrieren – und um Hürden für Frauen oder Forschende aus nicht-westlichen Ländern abzubauen, denkt Susanne Wegmann über neue Auswahlverfahren nach.

Für ihren großen Plan indes ist die Zeit noch nicht gekommen. „Ich will gern mit meiner Frau zusammen eine NGO gründen, um genau diese Probleme anzupacken“, sagt sie. Derzeit aber ist so viel zu tun in ihrer eigenen Forschung, dass sie nicht dazu kommt. „Aber die Idee habe ich nicht aufgegeben“, sagt Susanne Wegmann dann: „Nur einstweilen aufgeschoben.“

Das Thema, fürchtet sie, wird noch länger aktuell sein.

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