Weltweit größter Wissenschaftspreis für Tübinger Parkinson-Forscher

„Breakthrough Prize“ für wegweisende Entdeckungen über die Genetik der Nervenerkrankung Parkinson

Tübingen, 14. September 2023. Der Tübinger Parkinson-Forscher Prof. Dr. Thomas Gasser erhält den mit drei Millionen US-Dollar dotierten „2024 Breakthrough Prize in Life Sciences“ gemeinsam mit einer Wissenschaftlerin und einem Wissenschaftler, die beide in den USA tätig sind. Die drei Fachleute werden für die Entdeckung genetischer Risikofaktoren der Parkinson-Erkrankung ausgezeichnet. Von dieser bislang unheilbaren Nervenerkrankung sind hierzulande mindestens 200.000 Menschen betroffen. Der „Breakthrough Prize“ wird in verschiedenen Fachgebieten vergeben und gilt als die weltweit höchstdotierte Auszeichnung in den Naturwissenschaften. Diesmal werden unter anderem auch bedeutende Fortschritte in der Therapie von Krebs und Mukoviszidose gewürdigt. Thomas Gasser forscht in leitender Funktion am Tübinger Standort des DZNE und ist Vorstandsvorsitzender des Hertie-Instituts für klinische Hirnforschung an der Universität Tübingen. Er ist zudem ärztlicher Direktor der Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt Neurodegenerative Erkrankungen am Universitätsklinikum Tübingen.

Bei einer Parkinson-Erkrankung gehen im Gehirn bestimmte Nervenzellen zugrunde, die den Botenstoff Dopamin produzieren. Der daraus folgende Dopaminmangel verursacht Bewegungsstörungen wie Zittern, verlangsamte Bewegungen, Muskelsteifheit und Gleichgewichtsstörungen. Im fortgeschrittenen Krankheitsstadium entwickeln manche Patientinnen und Patienten auch eine Demenz. Weshalb diese Gehirnzellen absterben, ist bis heute nicht restlos geklärt. Thomas Gasser sowie Ellen Sidransky und Andrew Singleton, letztere forschen beide in den USA, fanden in den 2000er-Jahren heraus, dass Mutationen (Abweichungen von der Normalform) in bestimmten Erbanlagen das Risiko für Parkinson erhöhen, einige Mutationen die Erkrankung sogar unweigerlich auslösen. Der „Breakthrough Prize in Life Sciences“ würdigt diese Pionierleistungen: Sie haben das Verständnis der molekularen Mechanismen der Parkinson-Erkrankung erweitert und den Weg für Studien bereitet, in denen aktuell neue Therapie-Konzepte untersucht werden. Diese bahnbrechenden Befunde über genetische Risikofaktoren für Parkinson sind teils unabhängig voneinander, teils in Zusammenarbeit der preisgekrönten Forschenden entstanden.

Schadhafte Enzyme

Die besagten Mutationen betreffen die Gene LRRK2 (ausgesprochen „LARK2“) und GBA1. „Jedes dieser Gene enthält den Bauplan für ein bestimmtes Enzym. Durch die Mutationen funktionieren diese Enzyme nicht optimal. Im Endeffekt richten sie Schaden an“, erläutert Thomas Gasser. „Die Folgen sind gravierend. Denn LRRK2 ist an diversen Vorgängen innerhalb von Nervenzellen beteiligt, es sorgt unter anderem dafür, dass die Kraftwerke der Zellen korrekt funktionieren und Energie bereitstellen. Andererseits sind sowohl LRRK2 als auch GBA1 wichtig für das Recycling und die Beseitigung von Abfallprodukten des zellulären Stoffwechsels.“ Die beschriebenen Genmutationen sind zum einen für die erbliche („familiäre“) Form der Parkinson-Erkrankung relevant, bei der die betroffenen Personen in jeder Familiengeneration unweigerlich erkranken – häufig schon vor dem 50. Lebensjahr. Zum anderen sind manche dieser Erbgutvarianten auch Risikofaktoren für die weitaus häufigere „sporadische“ Form von Parkinson, die typischerweise im Alter ab 60 Jahren auftritt und deren Auslöser sich nicht eindeutig benennen lassen.

Aussichten für die Therapie

Parkinson ist bislang nicht heilbar. Die Symptome lassen sich allerdings für einen gewissen Zeitraum recht gut behandeln und abmildern. Häufig ist es sogar möglich, die Auswirkungen der Erkrankung über Jahre hinweg soweit in Schach zu halten, dass die betroffenen Personen in ihrem Alltag nur wenig eingeschränkt sind. „Die derzeit verfügbaren Therapien wirken allerdings nur symptomatisch und setzen nicht bei den Wurzeln der Erkrankung an. Deshalb können sie die Abbauprozesse im Gehirn nicht aufhalten und verlieren früher oder später ihre Wirkung“, so Gasser. „Aus unseren Befunden über die Gene LRRK2 und GBA1 ergeben sich jedoch Ansatzpunkte für Behandlungen, die auf molekulare Ursachen abzielen und denen verschiedentlich nachgegangen wird. Ich bin zuversichtlich, dass es eines Tages möglich sein wird, den Ausbruch der Parkinsonkrankheit zu verzögern oder gar ganz zu verhindern oder zumindest ihr Fortschreiten zu verlangsamen.“

Neue Ansätze

In der Tat arbeitet die Pharmaindustrie an Hemmstoffen, um das mutierte LRRK2-Enzym und dessen schädliche Wirkung auszubremsen. In Tübingen bereitet Gasser gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen derweil eine klinische Studie vor, die auf Patientinnen und Patienten mit Parkinson und GBA1-Mutation ausgerichtet ist. „Menschen mit GBA1-Mutation erkranken zumeist an einer besonders schwerwiegenden Form von Parkinson. Häufig entwickeln sie schon früh im Krankheitsverlauf eine Demenz. Wir wollen untersuchen, ob wir den geistigen Abbau verhindern oder zumindest hinauszögern können. Wir möchten also präventiv behandeln, bevor sich Symptome von Demenz bemerkbar machen. Damit würden wir die motorischen Störungen zwar nicht beseitigen, zur Lebensqualität dennoch maßgeblich beitragen. Dazu wollen wir mit Antikörpern gegen bestimmte Ablagerungen vorgehen, die sich bei einer Parkinson-Erkrankung im Gehirn ansammeln. Die klinischen Tests sollen nächstes Jahr beginnen“, sagt Gasser.

Stimmen zur Preisvergabe

Prof. Dr. Bernd Pichler, Dekan der Medizinischen Fakultät Tübingen: „Wir sind hocherfreut über die Auszeichnung von Prof. Dr. Thomas Gasser mit dem Breakthrough Prize für seine wegweisende Parkinson-Forschung. Prof. Gasser ist eine herausragende Persönlichkeit in der Neurologie und ein angesehener Wissenschaftler auf internationaler Ebene, was durch diese neuartige Auszeichnung deutlich wird. Seine bahnbrechende Arbeit hat unser Verständnis der Parkinson-Krankheit vertieft und innovative Behandlungsansätze vorangetrieben. Prof. Gasser veranschaulicht eindrucksvoll den Tübinger Forschungsschwerpunkt auf dem Gebiet der Neurologie und wir sind stolz auf seinen Erfolg.

„Auch wir als Hertie-Stiftung sind sehr stolz auf diese besondere Ehrung für Herrn Prof. Gasser. Wir sind fest davon überzeugt, dass durch die einzigartige Struktur an dem von uns geförderten Hertie-Institut für klinische Hirnforschung Herr Gasser exzellente klinische Arbeit leisten und parallel auch seine wegweisende Forschung zur Parkinsonerkrankung betreiben konnte“, sagt Frank-Jürgen Weise, Vorstandsvorsitzender der Hertie-Stiftung

„Thomas Gasser steht seit langem an der Weltspitze der Forschung und hat zu einem besseren Verständnis der Parkinsonkrankheit und anderer neurodegenerativer Erkrankungen beigetragen,” so Prof. Dr. Pierluigi Nicotera, Vorstandsvorsitzender des DZNE. „Prof. Gasser ist eine herausragende Führungspersönlichkeit, er hat die Entwicklung vieler klinisch tätiger Wissenschaftler gefördert und seine Arbeit war entscheidend für die Konzeption neuer, personalisierter Behandlungen, die in Zukunft helfen werden, die Parkinson-Erkrankung zu besiegen.“

Internationale Zusammenarbeit

Die Mutationen in den Genen LRRK2 und GBA1 zählen zu den häufigsten genetischen Risikofaktoren für Parkinson, die inzwischen bekannt sind. Fachleute vermuteten jedoch, dass es weitere – bislang unentdeckte – gibt. Das Tübinger Team um Gasser beteiligt sich daher an internationalen Forschungsprojekten, in denen das Erbgut tausender Menschen mit Parkinson untersucht wird. „Manche der genetischen Risikofaktoren, die man inzwischen gefunden hat, sind nicht gleichmäßig verteilt. Weltweit betrachtet gibt es Unterschiede in ihrer Häufigkeit zwischen Bevölkerungsgruppen und Regionen. Solche Befunde sind wichtig für die Entwicklung individualisierter Therapien und lassen sich nur in internationaler Zusammenarbeit erreichen“, so Gasser. „Davon versprechen wir uns Erkenntnisse nicht nur über die familiäre Form von Parkinson, sondern auch über die nicht-erbliche, also die sogenannte sporadische Variante. Unsere Untersuchungen zeigen, dass auch hier genetische Faktoren eine wichtige Rolle spielen. Sie sind dann zwar nicht alleinbestimmende Ursachen für Parkinson, aber dennoch bedeutsam zum Beispiel für das Krankheitsrisiko, das Erkrankungsalter oder den Schweregrad der Erkrankung.“

 

Hintergrund: Parkinson ist die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung nach Alzheimer. Sie äußert sich insbesondere durch Bewegungsstörungen und tritt in aller Regel im höheren Erwachsenenalter auf: Die große Mehrzahl der Betroffenen ist mindestens 60 Jahre alt. In vielen Fällen ist es möglich, die Symptome der Erkrankung über Jahre hinweg mit Medikamenten und Physiotherapie zu lindern, ehe die aktuellen Therapien aufgrund des stetig voranschreitenden Hirnschädigung ihre Wirkung verlieren. Die Erkrankung ist bis heute nicht heilbar. In Deutschland sind mindestens 200.000 Menschen von Parkinson betroffen, Tendenz steigend.

Über den Breakthrough Prize: Der Breakthrough Prize wurde 2012 von den Sponsoren Sergey Brin, Priscilla Chan & Mark Zuckerberg, Julia & Yuri Milner und Anne Wojcicki begründet und ist der weltweit höchstdotierte internationale Wissenschaftspreis, der jährlich verliehen wird. Die feierliche Verleihung der aktuellen Preise findet am 13. April 2024 in Los Angeles (USA) statt.

Über das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE): Das DZNE ist ein von Bund und Ländern gefördertes Forschungsinstitut, das bundesweit zehn Standorte umfasst. Es widmet sich Erkrankungen des Gehirns und Nervensystems wie Alzheimer, Parkinson und ALS, die mit Demenz, Bewegungsstörungen und anderen schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Gesundheit einhergehen. Bis heute gibt es keine Heilung für diese Erkrankungen, die eine enorme Belastung für unzählige Betroffene, ihre Familien und das Gesundheitssystem bedeuten. Ziel des DZNE ist es, neuartige Strategien der Vorsorge, Diagnose, Versorgung und Behandlung zu entwickeln und in die Praxis zu überführen. Dafür kooperiert das DZNE mit Universitäten, Universitätskliniken und anderen Institutionen im In- und Ausland. Das Institut ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und zählt zu den Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung.

Das Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) wurde 2001 von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, dem Land Baden-Württemberg, der Eberhard Karls Universität und ihrer medizinischen Fakultät sowie dem Universitätsklinikum Tübingen gegründet. Das HIH beschäftigt sich mit einem der faszinierendsten Forschungsfelder der Gegenwart: der Entschlüsselung des menschlichen Gehirns. Im Zentrum steht die Frage, wie bestimmte Erkrankungen die Arbeitsweise dieses Organs beeinträchtigen. Dabei schlägt das HIH die Brücke von der Grundlagenforschung zur klinischen Anwendung. Ziel ist, neue und wirksamere Strategien der Diagnose, Therapie und Prävention zu ermöglichen. Derzeit sind mehr als 20 Professorinnen und Professoren, 36 Forschungsgruppen und fast 500 Mitarbeitende am Institut beschäftigt. 

Die Universität Tübingen gehört zu den elf deutschen Universitäten, die als exzellent ausgezeichnet wurden. In den Lebenswissenschaften bietet sie Spitzenforschung im Bereich der Neurowissenschaften, Translationalen Immunologie und Krebsforschung, der Mikrobiologie und Infektionsforschung sowie der Molekularbiologie. Weitere Forschungsschwerpunkte sind Maschinelles Lernen, die Geo- und Umweltforschung, Archäologie und Anthropologie, Sprache und Kognition sowie Bildung und Medien. Mehr als 28.000 Studierende aus aller Welt sind aktuell an der Universität Tübingen eingeschrieben. Ihnen steht ein Angebot von mehr als 230 Studiengängen zur Verfügung – von der Ägyptologie bis zu den Zellulären Neurowissenschaften.

Das 1805 gegründete Universitätsklinikum Tübingen zählt zu den führenden Zentren der deutschen Hochschulmedizin. Als eines der 36 Universitätsklinika in Deutschland trägt es zum erfolgreichen Verbund von Hochleistungsmedizin, Forschung und Lehre bei. Weit über 400.000 stationäre und ambulante Patientinnen und Patienten aus aller Welt profitieren jährlich von dieser Verbindung aus Wissenschaft und Praxis. Die Kliniken, Institute und Zentren vereinen alle Fachleute unter einem Dach. Die Spezialistinnen und Spezialisten arbeiten fachübergreifend zusammen und bieten jedem Patienten und jeder Patientin die optimale Behandlung, ausgerichtet an den neuesten Forschungsergebnissen. Am Universitätsklinikum Tübingen forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für bessere Diagnosen, Therapien und Heilungschancen. Viele neue Behandlungsmethoden werden hier klinisch erprobt und angewandt. Neurowissenschaften, Onkologie und Immunologie, Infektionsforschung, Diabetes und Vaskuläre Medizin sind Forschungsschwerpunkte in Tübingen. Das Universitätsklinikum ist in vier der sechs von der Bundesregierung initiierten Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung verlässlicher Partner.

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