Breakthrough Prize 2024

Prof. Thomas Gasser erhält weltweit höchstdotierten Wissenschaftspreis

Thomas Gasser forscht am Tübinger Standort des DZNE und am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung in Tübingen. Er ist zudem ärztlicher Direktor der Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt Neurodegenerative Erkrankungen am Universitätsklinikum Tübingen. Gasser wurde mit dem „2024 Breakthrough Prize in Life Sciences“ ausgezeichnet, dem weltweit höchstdotierten Wissenschaftspreis. Gasser studierte und forschte zuvor in Freiburg und München sowie in den USA.

Interview mit Thomas Gasser

„Wir sind zuversichtlich, dass wir Parkinson eines Tages an seinen Wurzeln packen können“

Ein Blick hinter die Labortüren: Der Neurologe und Genetiker Thomas Gasser im Interview über jene Entdeckung, die ihm den Breakthrough-Preis eingebracht hat – und darüber, warum es so lange dauert, nach den bahnbrechenden Entdeckungen im Genom auch eine Therapie zu entwickeln.

Herr Gasser, erinnern Sie sich noch an den Moment des großen Durchbruchs, als Sie das LRRK2-Gen entdeckt haben?

Na klar! Ich weiß noch, dass mich einer meiner PostDocs aus dem Labor angerufen hat mit den Worten: „Ich glaube, wir haben da was!“ Sie müssen wissen: Dieser Durchbruch kam nach fast zwölf Jahren, in denen wir kontinuierlich daran gearbeitet haben, zu entdecken, welche Gen-Mutationen die Parkinson-Krankheit in diesen Familien auslösen.

Die Genmutation im LRRK2-Gen ist ein Risikofaktor für Parkinson. Warum hat es so lange gedauert, sie zu entdecken?

Ganz einfach: Die Technik war noch nicht soweit. Damals gab es die Genom-Sequenzierung noch nicht, mit der sich das Erbgut so wie heute schnell analysieren lässt. 1992 habe ich mit der Suche angefangen, damals musste ich dafür sogenannte Kopplungsanalysen machen. Das kann man sich als mühsame Handarbeit vorstellen. Wir haben uns die Region des menschlichen Genoms vorgenommen, in der sich das gesuchte Gen wohl befindet….

Quelle: Breakthrough Prize

…wie groß war Ihr Suchbereich?

Wir haben den Bereich auf ein paar Millionen Basenpaare eingeengt. Und diese schiere Zahl erklärt, warum es bis 2004 gedauert hat, dass wir fündig geworden sind.

Diese Entdeckung liegt nun auch schon 20 Jahre zurück, aber damals wie heute ist Parkinson unheilbar. Was hat sich in dieser Zeit hinter den Kulissen getan?

Die meisten Forscher auf diesem Gebiet sind der Meinung: Der Weg zu einer Behandlung führt über die Kenntnis der unterschiedlichen Gen-Varianten, die zu erblichen Formen des Parkinson führen. Und darüber wissen wir heute schon sehr viel mehr als im Jahr 2004. Wir sind zuversichtlich, dass wir Parkinson eines Tages an seinen Wurzeln packen können – und dass wir den Krankheits-Ausbruch verhindern oder zumindest deutlich nach hinten verschieben können.

Moment: Sie sprechen jetzt ausdrücklich von den erblichen Parkinson-Formen. Die meisten Patienten haben aber die sporadische Form, also ohne erbliche Veranlagung.

Das ist der eigentliche Punkt: Die Mechanismen sind sehr wahrscheinlich die gleichen. Ansätze, die irgendwo in den Genen ihre Begründung haben, führen mit sehr viel höherer Wahrscheinlichkeit zum Erfolg als alles andere, was man ohne Kenntnis dieser genetischen Komponente versucht hat.

An der Entdeckung einer weiteren dieser Mutationen waren Sie auch beteiligt: die GBA1-Mutation. Der Einfachheit halber spricht man meist von der GBA-Mutation.

Und auch da sind wir heute viel weiter als vor 20 Jahren. Wir wissen jetzt: Die Patienten mit GBA-Mutation erkranken zumeist an einer besonders schwerwiegenden Form von Parkinson. Zu den klassischen motorischen Einschränkungen kommt bei ihnen eine Demenz hinzu.

1992 habe ich mit der Suche angefangen [...] Wir haben den Bereich auf ein paar Millionen Basenpaare eingeengt. Und diese schiere Zahl erklärt, warum es bis 2004 gedauert hat, dass wir fündig geworden sind.
Prof. Dr. Thomas Gasser

Genau auf diese Patienten zielt eine klinische Studie ab, die Sie jetzt starten wollen. Was hat es damit auf sich?

Wir wollen mit dieser Studie ein typisches Problem umgehen, vor dem wir häufig stehen, wenn wir Therapien für neurodegenerative Erkrankungen erproben: Bei jenen Patienten, die schon Symptome zeigen, ist die Krankheit schon so weit fortgeschritten, dass wir zu spät kommen. Wir können aber natürlich erst anfangen zu therapieren, wenn ein Patient Symptome hat. Mit der GBA-Studie durchbrechen wir diesen Teufelskreis, weil die Demenz erst im späteren Krankheitsverlauf entsteht. Das bedeutet: Wenn bei einem Patienten, der die GBA-Mutation hat, die ersten typischen Parkinson-Symptome auftreten – also die motorischen Einschränkungen -, können wir in dem Moment prä-symptomatisch die Demenz behandeln, weil die sich erst später entwickelt.

Wenn Ihre Therapie anschlägt, wirkt sie dann bei allen Demenz-Patienten?

Nein, sie richtet sich zunächst speziell gegen die Parkinson-Demenz bei GBA-Mutation. Aber wir haben eine andere Hoffnung: Seit wenigen Jahren kann man im Nervenwasser nachweisen, wenn sich sogenannte Alpha-Synuklein-Ablagerungen bilden. Das sind Ablagerungen von Eiweißstoffen, die bei bei allen Parkinson-Patienten vorkommen, aber bei GBA-Patienten auch die Demenz verursachen – und diese Ablagerungen bekämpfen wir mit unserer Therapie. Dafür verabreichen wir spezielle Antikörper.

An der Studie werden 120 Probanden mit bestimmten GBA-Mutationen in mehreren Ländern teilnehmen. Sind daran auch Ihre beiden amerikanischen Kollegen Ellen Sidransky und Andrew Singleton beteiligt, die gemeinsam mit Ihnen für die Entdeckung von Risikogenen den Breakthrough Prize bekommen?

Nein, die geplante GBA-Studie ist rein europäisch. Das ist regulatorisch schon schwierig genug! Aber mit Ellen und Andy bin ich natürlich weiter in Kontakt. In der Forschung zur Parkinson-Genetik gibt es sehr starke internationale Netzwerke, weil alle wissen, wie vielversprechend eine enge Zusammenarbeit ist. Wir waren gemeinsam unter den Mitbegründern des IPDGC – dem International Parkinson Disease Genetics Consortium. Damals waren wir sechs oder acht Forscher aus verschiedenen Ländern.

Gibt es diese Gruppe noch?

Oh ja, sie ist inzwischen zu einem riesigen Konsortium herangewachsen, das sich jetzt Global Parkinson Genetics Program (GP2) nennt. Das jüngste Treffen war gerade in Kopenhagen, da waren über 200 Forscher aus der ganzen Welt dabei. Inzwischen sind nicht mehr nur Europa und die USA, sondern auch Südamerika, Asien und Afrika stark vertreten. Genau das ist übrigens ein wichtiger Aspekt: 90 Prozent der genetischen Untersuchungen zu Parkinson sind an Europäern oder europäisch-stämmigen Amerikanern durchgeführt worden. Die genetische Diversität auf der Welt hat man vollkommen vernachlässigt, und das soll jetzt geändert werden.

Gibt es denn Hinweise darauf, dass die genetischen Unterschiede groß sind, wenn es um Parkinson geht?

Absolut! Ich gebe Ihnen ein ganz aktuelles Beispiel: Im GBA-Gen hat man jetzt eine neue Risikovariante gefunden, die man bisher noch nicht kannte. Sie kommt speziell bei der Bevölkerung in Subsahara-Afrika vor.

Das DZNE ist traditionell stark aufgestellt bei solchen internationalen Kooperationen. Was ist aus Ihrer Sicht das Alleinstellungsmerkmal des DZNE?

Wir sind sehr stark im Bereich der molekularen Grundlagenforschung. Und da rede ich nicht nur von Parkinson, sondern beispielsweise auch von den Kollegen, die sich mit Alzheimer oder seltenen neurodegenerativen Erkrankungen wie Ataxien beschäftigen. Und wir sind auch stark in der klinischen Forschung dank unseres bundesweiten Netzwerks und der engen Zusammenarbeit mit Universitätskliniken.

Der Breakthrough-Preis, mit dem Sie ausgezeichnet wurden, ist der weltweit größte Wissenschaftspreis. Was kann da in Ihrer Forschung eigentlich noch kommen?

(lacht) Meine Motivation ist nach wie vor sehr groß, falls Sie das meinen. Mein großes Ziel hängt mit der GBA-Studie zusammen, über die wir sprachen: Wir wollen das erste Mal zeigen, dass eine genetische Stratifizierung von Patienten zu einer wirksamen Therapie führen kann. Ich brenne nach wie vor für die Forschung!

Interview: Kilian Kirchgeßner

Über den Breakthrough Prize: Der Breakthrough Prize wurde 2012 von den Sponsoren Sergey Brin, Priscilla Chan & Mark Zuckerberg, Julia & Yuri Milner und Anne Wojcicki begründet und ist der weltweit höchstdotierte internationale Wissenschaftspreis, der jährlich verliehen wird. Jeder der 5 Hauptpreise (3 in Biowissenschaften, 1 in Grundlagenphysik und 1 in Mathematik) ist mit 3 Millionen US-Dollar dotiert; die Preise für Nachwuchswissenschaftler (New Horizons Prizes in Physik und Mathematik) sind mit 100.000 Dollar dotiert. In diesem Jahr werden insgesamt 15,75 Millionen Dollar vergeben, womit sich die Gesamtsumme der über 12 Jahre verliehenen Preise auf 308 Millionen Dollar beläuft.

Der Breakthrough Prize, der auch als „Oscar der Wissenschaft“ bezeichnet wird, veranstaltet jährlich eine Gala zur Verleihung der Preise, unter der Mitwirkung von Stars aus Film und Sport, um die Leistungen der Preisträger zu feiern und eine breite Unterstützung der Öffentlichkeit für die Forschung zu fördern.

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