Die Renaissance der Antikörper

Die Forschung hat ein gespaltenes Verhältnis zu Antikörpern für die Therapie von Alzheimer-Patienten: Kritiker sahen die Ansätze schon als gescheitert an – aber jetzt entwickeln sie sich im Lichte neuer Erkenntnisse wieder zu Hoffnungsträgern.

Wenn die Alzheimer-Forschung in den vergangenen Jahren große Schlagzeilen gemacht hat, standen häufig Rückschläge dahinter: Gleich reihenweise sind aufwendige Medikamentenstudien gescheitert – und mit ihnen sind die Hoffnungen vieler Patienten auf eine baldige Therapiemöglichkeit geplatzt. Umso größer war auch unter Experten das Staunen, als jetzt ein Medikament namens Lecanemab in einer klinischen Studie große Erfolge in der Alzheimer-Behandlung erzielte. „Der Ansatz, Alzheimer über Antikörper zu behandeln, ist nicht gescheitert, wie es in den vergangenen Jahren oft prophezeit wurde“, sagt der renommierte Hirnforscher Prof. Christian Haass vom DZNE, „ganz im Gegenteil: Sie sind vielversprechend, und Lecanemab hat das bewiesen.“

Hinter dem Einsatz von Antikörpern steckt die Theorie von der Amyloid-Kaskade. Amyloid ist ein Protein, das im Gehirn aller Menschen vorkommt. Mit zunehmendem Alter aber erhöht sich seine Konzentration, und bei allen Alzheimer-Patienten finden sich ganze Amyloid-Klumpen im Gehirn, die sogenannten Plaques. Das Amyloid wiederum hat eine ganze Reihe von Folgewirkungen auf molekularer Ebene; das ist die namensgebende Kaskade. Ob die Plaques aber Auslöser von Alzheimer sind oder eine Folgeerscheinung – das wurde in den vergangenen Jahrzehnten unter Wissenschaftlern immer wieder hitzig diskutiert. Christian Haass, der als Pionier der Amyloid-Forschung gilt, war immer überzeugt davon, dass Antikörper, die dieses spezielle Protein bekämpfen, einen wirksamen Ansatz für Alzheimer-Behandlungen darstellen.

Der Ansatz, Alzheimer über Antikörper zu behandeln, ist nicht gescheitert, wie es in den vergangenen Jahren oft prophezeit wurde.
Prof. Christian Haass

Der Erfolg von Lecanemab könnte jetzt eine Renaissance der Antikörper-Forschung einläuten. Die Probandinnen und Probanden zeigten nach 18 Monaten eine um 27 Prozent geringere Verschlechterung als die Placebogruppe – das ist der nach außen sichtbare Effekt. Auf molekularer Ebene hat das Medikament, das von den Pharmaunternehmen Eisai und Biogen getestet wird, ebenfalls weitreichende Auswirkungen. „Es hat sich gezeigt, dass das Amyloid zu über 70 Prozent reduziert wird“, sagt Christian Haass. Schon in der Phase-2-Studie – also der ersten, noch kleinen Anwendung am Menschen – habe man gesehen, dass signifikante Effekte auch auf Phospho-Tau zu verzeichnen sind; das ist ein weiteres Protein, das mit Alzheimer in Verbindung steht. „Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Man gibt einen Anti-Amyloid-Wirkstoff ins Gehirn von Alzheimerpatienten, räumt die Plaques ab, verlangsamt den kognitiven Verfall und reduziert zugleich Phospho-Tau.“ Amyloid löst die Bildung von Phospho-Tau aus, erklärt Christian Haass – und kommt wieder zurück auf die Amyloid-Kaskade: „Wenn ich die Kaskade oben trockenlege - also beim Amyloid -, dann kommt unten nichts mehr raus.“ Es lassen sich also Prozesse stoppen, die zum weiteren Verfall des Gedächtnisses führen.

Es bleiben aber trotz dieser Erfolge noch viele Fragen offen: Wie etwa kann man Patienten möglichst früh identifizieren, am besten noch vor dem Auftreten des Gedächtnisverlustes? Gibt es Nebenwirkungen? Wer übernimmt die horrenden Kosten, und wie kann man die Infusion des Antikörpers logistisch organisieren? „Und leider wird es auch so sein, dass nur Patienten mit einem extrem geringen Gedächtnisverlust auf das Medikament ansprechen werden“, sagt Christian Haass: „Damit steht den vielen weiter fortgeschrittenen Patienten und Patientinnen nach wie vor kein Medikament zur Verfügung.“

Die Kette der Rückschläge bei den vorherigen Studien begann im Jahr 2014 mit dem Medikament Gantenerumab, anschließend gab es noch Crenezumab, Solanezumab und Aducanumab. Die fehlgeschlagenen Anläufe, die jeweils mit millionenschweren Investitionen verbunden waren, brachten die gesamte Antikörper-Forschung in die Kritik. Von „kaum noch zu verkraftenden Rückschlägen“ war die Rede, von „grandiosem Versagen“ und von den fruchtlosen „Versuchen, ein totes Pferd weiterzuprügeln“. Dabei gebe es genügend Gründe, alle diese Studien genau anzuschauen, findet Christian Haass: Von gescheiterten Studien will er nicht sprechen, obwohl sie an der Kognition der Probanden nichts oder nur wenig verbessert haben. „Aus jeder dieser Studien konnten wir etwas lernen. Und dass sie bei den Patienten kaum gewirkt haben, hat nichts mit der Amyloid-Hypothese zu tun.“ Das zeige sich allein schon daran, dass jedes der Medikamente aus anderen Gründen nicht gewirkt habe. Wenn beispielsweise sogenannte Sekretase-Inhibitoren, die die Bildung von Amyloid verhindern sollen, über die Blutbahn erst gar nicht an ihrem Zielort ankämen, dann könnten sie dort eben auch nicht ihre Wirkung entfalten. Das gleiche könne auch für die Gantenerumab-Studie von Roche gelten, wo gerade erst bekanntgegeben wurde, das dieser Antikörper den Gedächtnisschwund nicht signifikant reduziert – aber eben auch die Plaques nicht ausreichend abräumt.

Alzheimer ist unter den neurodegenerativen Erkrankungen diejenige, die für den Einsatz von Antikörpern am stärksten prädestiniert scheint: Die Amyloid-Plaques – also die Angriffsziele für die Antikörper – lagern sich außerhalb von Zellen ab. Dadurch können Antikörper sie gleich erkennen und angreifen. Das Prinzip hört sich in der Theorie einfach an: Das Gehirn wird mit Anti-Amyloid-Antikörpern quasi geflutet, die lagern sich an die Plaques an, woraufhin Mikroglia-Zellen – gehirneigene Immunzellen – sie angreifen. Bei den meisten anderen neurodegenerativen Erkrankungen von Parkinson bis zur Frontotemporalen Demenz hingegen bilden sich die potenziellen Ziele für Antikörper innerhalb von Zellen und sind dort geschützt. Sie müssen also erst stückweise aus der Zelle transportiert werden, um dort auch tatsächlich angreifbar zu werden.

Derzeit sind noch mehrere Antikörper für den Kampf gegen Alzheimer in der Entwicklung; bei zweien von ihnen sehen die bisherigen Daten aus der klinischen Phase-2-Studie nach Expertenmeinung vielversprechend aus. Am DZNE möchte man unabhängig davon an einer Art zweistufigem Therapieverfahren arbeiten: Als erstes wird Patientinnen und Patienten eine hohe Dosis Antikörper verabreicht, mit denen sich die Amyloid-Plaques signifikant reduzieren lassen. Als nächstes bekommen sie danach ein Molekül, das den Amyloid-Spiegel auch weiterhin niedrig halten soll. An Mausmodellen wird das demnächst probiert. „Wir brauchen die Antikörper für den initialen Effekt, um die Plaques möglichst weitgehend abzuräumen. Aber um den Amyloid-Spiegel danach niedrig zu halten, lassen sich gamma Sekretase-Modulatoren verwenden.“ Diese Modulatoren verhindern die Bildung von Amyloid nicht, aber greifen in sie ein. Es entsteht also nicht die längere Variante des Amyloids mit 42 oder 43 Aminosäuren, die deshalb schnell verklumpt – sondern eine kürzere mit 37 oder 38 Aminosäuren. Diese kürzeren Ketten haben nach ersten Erkenntnissen sogar einen schützenden Effekt.

Ein weiterer Ansatz, den DZNE-Forschende derzeit verfolgen, setzt auf Mechanismen, mit denen sich der Körper selbst schützen könnte. Mikroglia-Zellen – das sind spezielle Immunzellen im Gehirn – lassen sich möglicherweise über einen Antikörper gezielt aktivieren. Das Ziel: Sie sollen von selbst aktiv werden, um schädliche Entwicklungen zu bekämpfen und Anti-Amyloid Antiköper beim Abräumen der Plaques unterstützen. Auch hier gibt es inzwischen vielversprechende Ansätze.

Beim Blick auf diese unterschiedlichen, mit großem Aufwand betriebenen Forschungsansätze zeigt sich, welche wichtige Rolle die Amyloid-These und die darauf aufbauende Antikörperforschung nach wie vor spielt. Nach Jahren voller Rückschläge wird die Suche nach den passenden Antikörpern wieder zum Hoffnungsträger für Alzheimer-Patienten, die nach wie vor dringend auf einen Durchbruch warten.

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