Prof. Hoffmanns Filmkritik zu "The Father"

Der Oscar für das beste adaptierte Drehbuch und für den besten männlichen Hauptdarsteller ging in diesem Jahr an „The Father“ – ein Film, der eine Erkrankung in den Vordergrund stellt, die bislang eher ungern thematisiert wird: Demenz.

Der nun zweifache Oscar-Gewinner Anthony Hopkins spielt in „The Father“ den 83-jährigen Anthony, der an Demenz erkrankt ist und Schwierigkeiten damit hat, seine Diagnose zu verstehen. Die Stimmungslagen des alten Mannes wechseln stark – mal ist er fröhlich, mal merklich gereizt. Auch das sogenannte herausfordernde Verhalten zeigt sich bei ihm: ohne es selbst zu bemerken, verletzt er mit beleidigenden Äußerungen die Menschen um ihn herum, obwohl diese ihm eigentlich nur helfen wollen.

Prof. Wolfgang Hoffmann, Standortsprecher am DZNE Rostock/Greifswald, hatte die Chance, den Film vorab zu sehen. Mit dem Blick des Wissenschaftlers ordnet er das Filmische in die Realität von Demenzerkrankten ein. In seiner Filmkritik bezieht er sich vor allem auf die erfolgreiche Inszenierung des Krankheitsbildes, bzw. auf den Blick auf die Welt aus der Sicht von Menschen mit Demenz. Dies ermöglicht es dem Zuschauer, sich intensiv in Anthony hineinzuversetzen und die Erkrankung nachzuvollziehen. Gleiches gilt für die Darstellung der Folgen und Herausforderungen für Angehörige und Pflegende, die ebenfalls mit den Folgen der Demenz kämpfen.

Der Film startet ab dem 26. August deutschlandweit in den Kinos.
 

Hier Prof. Hoffmanns Video-Kommentar:





Interview mit Prof. Hoffmann zu „The Father“

Die Filmkritik von Prof. Hoffman (s. Video) haben wir uns zum Anlass genommen, mit ihm über das Thema Demenzforschung zu sprechen.

 

Herr Professor Hoffmann, Anthony Hopkins scheint in der Rolle des von Demenz betroffenen Anthony nicht mehr zwischen Realität und Wahnvorstellung unterscheiden zu können. Beispielsweise glaubt er, dass seine Armbanduhr von seiner Pflegerin gestohlen wurde – in Wirklichkeit hat er aber das Versteck der Uhr vergessen. Wie häufig kommen Sinnestäuschungen und Wahnvorstellungen bei Demenz-Erkrankten vor?
 
Hoffmann: An Demenz erkrankte Menschen sind häufig nicht mehr in der Lage, Beweggründe ihrer Handlungen zurückzuverfolgen und stellen dann im Hier und Jetzt etwas fest, wozu sie nicht die Erklärung finden. Anthony versucht in mehreren Szenen, Sinn aus seinen Erlebnissen zu machen. Er hat Lücken im Gedächtnis und versucht, die einzelnen Gedankenfetzen irgendwie zu verbinden – also eine Logik herzustellen, um diese Gedanken zu verstehen.

 

Mal ist Anthony charmant, mal schlecht gelaunt. Am Ende des Films hat er eine Panikattacke und ruft verzweifelt nach seiner Mutter. Woher kommen diese Stimmungsschwankungen und Panikattacken? Was passiert da im Gehirn und in der Psyche der Betroffenen?

Hoffmann: Der Gedächtnisverlust ist für viele Menschen mit Demenz ein sehr schmerzhaftes Erlebnis. Hieraus resultiert häufig Frustration, da man diesen Verlust täglich erlebt, immer verbunden damit, dass man etwas nicht mehr kann oder nicht mehr versteht. Hinzu kommen Scham- und Schuldgefühle, häufig auch Unsicherheit und Angst. Emotionen funktionieren bis in sehr fortgeschrittene Stadien noch gut, logisches Denken ist aber schon recht früh eingeschränkt. Daraus folgt oft, dass betroffene Menschen auf empfundene Emotionen nicht mehr für Andere nachvollziehbar reagieren. Die Unsicherheit verstärkt das Bedürfnis, umsorgt zu werden und sich sicher zu fühlen.

 

Es gibt eine Szene, in der Anthony eine neue Pflegekraft vorgestellt wird. Obwohl er sie attraktiv findet und zunächst seinen Charme spielen lässt, lehnt er ab, von ihr gepflegt zu werden, weil er glaubt, alleine noch gut zurechtzukommen. Welche Erfahrungen machen Pflegekräfte denn mit Menschen mit Demenz, bei denen die Krankheitseinsicht fehlt?

Hoffmann: Besonders Männer lehnen Pflege oft ab – das liegt möglicherweise auch an dem Selbstbild, dass insbesondere Männer aus der jetzt älteren Generation in jüngeren Jahren entwickelt haben. Dazu gehört: „Man darf nicht auf andere angewiesen sein“. Gleichzeitig erleben sie schmerzlich den Verlust ihrer Eigenständigkeit – und den zunehmenden Bedarf an Hilfe. Daraus können Wut und Aggressionen entstehen. Pflegekräfte berichten oft von Beleidigungen und auch von körperlichen Angriffen.

 

Eine der tragischsten Rollen in dem Film spielt die Tochter von Anthony: Sie wird von ihrem Vater nicht als Tochter erkannt und mit verletzenden und herabsetzenden Bemerkungen gekränkt. Ihre Ehe leidet unter der häuslichen Pflegesituation. Sind Angehörige oft die Hauptbetroffenen in solch einer Situation?
 
Hoffmann: Oh ja, Angehörige sind von der Demenz oft besonders stark betroffen. Viele geben sich sehr viel Mühe und haben trotzdem immer wieder frustrierende Erlebnisse. Angehörige geraten schnell in Konflikte, unter denen auch der eigene Partner und die Familie leiden. Pflegende Kinder und Ehepartner haben die an Demenz Erkrankten in der eigenen Vergangenheit ganz anders erfahren – stark, intelligent, weitblickend, erfahren. Im täglichen Kontakt mit der Erkrankung müssen sie auch selbst lernen, loszulassen und ihre Ansprüche an den geliebten Menschen neu zu definieren. Es ist deshalb gut, im Verlauf der Erkrankung zu lernen, ruhig zu bleiben und nicht zu widersprechen oder zu streiten. Es hilft, nicht zu erwarten, dass es besser wird. Wichtig ist, Verantwortung auch einmal abzugeben – zum Beispiel im Rahmen der Selbsthilfe oder der professionellen Pflege.

 

 

Anthonys Tochter stellt ihr eigenes Leben zurück und gefährdet die Harmonie ihrer Ehe, um ihren Vater bei sich aufzunehmen. Am Ende des Films kommt Anthony dann in ein Pflegeheim. Bildet das Ihrer Erfahrung nach die Realität ab?

Hoffmann: Tendenziell ja.

Ab welchem Punkt schaffen Angehörige die häusliche Pflege oft nicht mehr?

Hoffmann: Viele Angehörige pflegen so lange, bis es gar nicht mehr geht. Aber dann haben sie oft einen Punkt erreicht, an dem sie ihr eigenes Leben schon aufgegeben haben. Die Balance zwischen Pflege und Eigenschutz ist für viele Angehörige schwer zu finden. Der langsame chronische Verlauf der Demenz-Erkrankung, in dem auch immer wieder hellere Momente auftreten, trägt dazu bei, dass Angehörige oft unsicher dabei sind, das Stadium der Krankheit realistisch einzuschätzen.

 

Welche frühen Symptome gibt es bei Demenz? Ab wann sollten Angehörige hellhörig werden und ärztlichen Rat suchen?

Hoffmann: Ganz frühe Symptome betreffen das Kurzzeitgedächtnis. Es ist immer gut, bei Gedächtnisveränderungen, die subjektive Sorge verursachen, frühzeitig Hilfe zu suchen. Eine frühere Diagnostik ist in aller Regel besser als eine zu späte. Dies bestätigen nicht nur Betroffene, sondern auch die meisten pflegenden Angehörigen und die behandelnden Ärztinnen und Ärzte.

 

Welche Behandlungs- und Versorgungsmöglichkeiten gibt es denn momentan?

Hoffmann: Wir haben heute eine abgestimmte S3-Leitlinie, an der sich neben den zuständigen Fachärzten, also Neurologen und Psychiatern, auch die Hausärzte mit einem Kapitel beteiligt haben. Bei Menschen mit Demenz gibt es immer noch viel Unterversorgung – so genannte unbefriedigte Versorgungsbedarfe. Längst nicht alle betroffenen Patientinnen und Patienten bekommen eine leitliniengerechte Versorgung. Fast die Hälfte der Betroffenen erhält keine frühzeitige Diagnose. Menschen mit Demenz haben in aller Regel mehrere weitere chronische Krankheiten, die durch die kognitiven Einschränkungen nicht erkannt und/oder nicht konsequent behandelt und versorgt werden. Dazu kommen häufige Probleme mit den Medikamenten: Menschen mit Demenz nehmen oftmals mehr als zehn unterschiedliche Medikamente ein. Alle diese Probleme können behandelt werden, wenn sie erkannt werden. Eine konsequente Optimierung der Behandlung durch speziell qualifizierte Pflegefachpersonen, sogenannte Dementia Care Manager, kann nachweislich die Versorgung der Menschen mit Demenz verbessern. Es gibt auch viele Möglichkeiten außerhalb des pflegerischen und medizinischen Bereiches, die aber gegenwärtig noch nicht ausgeschöpft werden. Hier ist mehr Forschung notwendig!

 

Und wie ist der aktuelle Forschungsstand zur Prävention und Therapie der Demenz?

Hoffmann: Nach vielen Jahren mit bitteren Rückschlägen im Bereich der Therapie der Demenz gibt es in neuer Zeit einige vielversprechende Ansätze – keiner ist jedoch bisher in der Lage, die verlorenen kognitiven Fähigkeiten wiederherzustellen. Die Zukunft wird sich vor allem darauf konzentrieren, den Verlauf der Demenz zu verlangsamen und hoffentlich irgendwann auch zu stoppen. Über Prävention wissen wir heute sehr viel: Durch gesunde Lebensweise, körperliche und soziale Aktivität, korrekte Einstellung des Blutdrucks, Verzicht auf Rauchen und übermäßigen Alkoholkonsum und die Verminderung des Übergewichtes können insgesamt mehr als ein Drittel aller Demenzerkrankungen verhindert werden.

 

Inwiefern kann ein Film wie „The Father“ dazu beitragen, dass das Thema Demenz in der Gesellschaft bekannter und transparenter wird?

Hoffmann: Ein solcher Film ist sehr wichtig, weil er das Bewusstsein einer größeren Öffentlichkeit für das ganz praktische Leben mit Demenz stärkt und das Sorgen für einen Menschen mit Demenz anspricht. Angehörige fühlen sich verstanden, wenn Menschen mit Demenz und ihre Krankheit in der Gesellschaft wahrgenommen werden. Ich verspreche mir von dem sehr gut gemachten Film auch, dass er die Aufmerksamkeit und Toleranz vieler Menschen in der Bevölkerung für Betroffene mit Gedächtnisproblemen stärkt. Und dass das Bewusstsein geschaffen wird, dass Demenz nicht nur Altersschwäche, sondern eine ernsthafte Erkrankung ist und uns alle angeht. Jeder von uns kann in die Situation kommen, einen nahen Angehörigen zu pflegen – und jeder kann auch selbst erkranken. Demenz ist nicht nur eine Krankheit der Alten! Ein solcher Film, dem ich jeden Erfolg im Kino wünsche, kann die Toleranz in der Gesellschaft für Menschen mit Demenz verbessern, kann Bewusstsein dafür schaffen.

 

Bald sind Bundestagswahlen. Wieviel Bedeutung hat Politik für die Demenzerforschung und die Versorgung der Betroffenen?

Hoffmann: Die Wichtigkeit der Forschung zur Demenz und zur besseren Behandlung der betroffenen Patienten wird in Deutschland noch nicht deutlich genug wahrgenommen. Heute leben bereits 1,6 Millionen Menschen mit Demenz in Deutschland. Diese Zahl wird sich in den nächsten 30 Jahren verdoppeln. Die Demenz verursacht schon heute mehr als ein Drittel aller Sozialkosten bei Menschen über 65 Jahre. Wenn wir die Ausgaben für die Erforschung der Demenz beispielsweise mit denen für die Krebsforschung vergleichen, dann führt die Demenz noch eher ein Schattendasein. Dabei sind so viele Menschen von Demenz betroffen! Eine neue Studie zeigt, dass das Lebenszeitrisiko für die Entwicklung einer Demenzerkrankung etwa bei 25 Prozent liegt – das ist eine von vier Personen, die irgendwann im Lauf ihres Lebens an einer Demenz erkranken. Deutschland ist international in der Forschung zu Demenz und anderen neurodegenerativen Erkrankungen gut aufgestellt – das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen gehört zu den besten Forschungseinrichtungen der Welt. Leider reicht aber die Förderung derzeit nicht aus, um die wichtigen offenen Fragen erfolgreich zu beantworten. Hier muss dringend in Forschung investiert werden!

 

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