Genforschung geht um die Welt

Die Suche nach einer Therapie für die bisher unheilbare Parkinson-Krankheit geht in die nächste Runde - mit einer Studie, die so breit angelegt ist wie noch keine vor ihr. Viele Fäden dafür laufen in Tübingen zusammen.



Das ist Pionierarbeit, die wir hier leisten“, sagt Peter Heutink über sein neues Projekt – dabei ist der Professor für Genom-Biologie vom DZNE in Tübingen eigentlich ein Mann der leisen Töne. Doch er betreut in Tübingen eine weltumspannende Studie, die die Hoffnung auf eine Therapie der Parkinson-Erkrankung aufflammen lässt: „Wir werden die Gene von 150.000 Probanden aus aller Welt untersuchen“, kündigt Peter Heutink an. „Was mich an der genetischen Forschung fasziniert“, sagt der gebürtige Niederländer, „ist die Möglichkeit, damit schon in sehr frühem Alter die Risikofaktoren für Erkrankungen zu finden.“

Bestimmte Erbanlagen verraten bereits bei Neugeborenen, dass bei ihnen eines Tages eine Krankheit ausbrechen wird – und das eröffnet die Chance auf eine rechtzeitige Behandlung. Peter Heutink hat sich schon früh auf jene Gene spezialisiert, die Parkinson auslösen – das Leiden, bei dem Schäden im Gehirn entstehen, die die Patienten auffällig zittern lassen und sie in ihrer Beweglichkeit einschränken. Auch andere schwerwiegende Symptome, etwa Störungen der Blasen- und Darmfunktion, und sogar eine Demenz können sich entwickeln. Heilbar ist die Krankheit bis heute nicht.


Suche im Genom

„Bei Parkinson gibt es zwei Erkrankungstypen“, erläutert Peter Heutink: Zum einen ist da die erbliche Form, bei der konkrete Gendefekte von Generation zu Generation weitergegeben werden. Diese erblichen Faktoren machen allerdings nur einen kleinen Teil der Parkinson-Patienten aus. Weitaus häufiger – in 90 bis 95 Prozent der Fälle – entsteht die Krankheit wie aus heiterem Himmel im Laufe des Lebens; von einer „sporadischen Erkrankung“ sprechen die Forschenden deshalb. Mutation von Genen oder auch Umweltfaktoren wie etwa Giftstoffe spielen eine Rolle – doch was genau Parkinson auslöst und wie die Krankheit in den Nervenzellen wirkt, wissen die Forscher noch nicht. Und solange es hier keine Erkenntnisse gibt, ist es denkbar unwahrscheinlich, dass Wege zu einer Heilung gefunden werden.

„Zu Beginn meiner Forschung war die Technik, mit der Gene identifiziert und untersucht werden können, noch nicht so ausgereift wie heute“, erinnert sich Peter Heutink. Mit seinen Kolleginnen und Kollegen widmete er sich – damals noch in den Niederlanden – vor allem der erblichen Form von Parkinson. Bei dieser erblichen Form sind zehn Gene bekannt, die für den Krankheitsausbruch eine Rolle spielen. „Seit etwa 15 Jahren aber haben wir viel bessere technische Möglichkeiten. Nun können wir weitaus mehr Gene untersuchen, ihre möglichen Mutationen analysieren und das Erbgut von kranken und gesunden Patienten in einem viel größeren Ausmaß vergleichen.“ Das eröffnet die Chance, gezielt nach jenen Anlagen zu suchen, die die sporadische Form von Parkinson auslösen. 90 Gene konnten hier bereits identifiziert werden. Aber: „Diese 90 Gene können nur ein Viertel des genetischen Risikos erklären.“ Demnach sind drei Viertel der genetischen Faktoren also noch unentdeckt.



Ein weltumspannendes Vorhaben

An dieser Stelle setzt die gewaltige Studie an, die Heutink als Pionierarbeit bezeichnet. „The Global Parkinson’s Genetics Program (GP2)“ heißt das Vorhaben, das in seinem Umfang einzigartig ist: Ein internationales Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nimmt in den kommenden Jahren nach und nach Blutproben von 150.000 Probanden und kartiert deren Genom. Dabei wird eine riesige Datenmenge generiert, in der mithilfe von hochspezialisierter Software nach Mustern gesucht werden kann: Gibt es beispielsweise Gene und Mutationen, die bei vielen Parkinson-Patienten vorkommen? Vielleicht verbirgt sich dahinter eine Fährte zu weiteren Auslösern der heimtückischen Krankheit. Eine solch detailreiche Studie wäre noch vor wenigen Jahren technisch überhaupt nicht möglich gewesen. 

„Was mir besonders wichtig ist, ist das Wörtchen ‚global’ im Titel der Studie“, betont Peter Heutink, der der hochkarätig besetzten Steuerungsgruppe angehört: „Bislang arbeiten 95 Prozent aller Parkinson-Studien mit den Daten von Patienten aus Nordeuropa und den Vereinigten Staaten. Damit beschränken sich die Erkenntnisse über die Erkrankung im Wesentlichen auf Menschen europäischen Ursprungs, obwohl sie ja weltweit in der Minderheit sind.“ Bewusst setzt das Forschungsteam deshalb jetzt auf die Daten von Probanden aus Regionen, die bisher kaum berücksichtigt werden – beispielsweise Südamerika, Afrika, Südostasien und Australien. „Unterrepräsentierte Populationen“ nennt Peter Heutink diesen Personenkreis aus seiner wissenschaftlichen Sicht, und das Erkrankungsrisiko variiere je nach Population. Der Forschungsansatz eröffne schlicht neue Wege in der Forschung und Therapie.


„Früher ist man davon ausgegangen, dass eine Pille für jeden Patienten gleichermaßen funktioniere. Inzwischen haben wir aus der Genetik die harte Erkenntnis gewonnen: Das kann man vergessen!“ Eine personalisierte Medizin, in der jeder Patient eine exakt auf ihn zugeschnittene Behandlung bekommt, sei wesentlich effizienter – und die GP2-Studie dürfte ein wichtiger Schritt auf dem Weg dorthin sein. Der Tübinger Standort des DZNE nimmt bei der Auswertung eine zentrale Rolle ein: Hier laufen die Genom-Datensätze von vielen Probanden aus aller Welt zusammen. Etliche von ihnen werden direkt hier ausgewertet; oftmals unterstützen die Fachleute aus Tübingen ihre Kolleginnen und Kollegen in anderen Ländern auch bei der Analyse. Vom Know-how, das seine Arbeitsgruppe über viele Jahre hinweg gewonnen hat, sollen möglichst viele profitieren. „In Corona-Zeiten tauschen wir uns aus per Videokonferenz, danach werden wir uns sicher auch häufiger persönlich treffen“, sagt Peter Heutink.



Grundlagen für Therapien

Auf fünf Jahre ist die Arbeit angelegt, der Startschuss fiel 2020. Für eine Zwischenbilanz ist es also zu früh, aber mit einer Frage wird Peter Heutink immer wieder konfrontiert: Wie wahrscheinlich ist es, dass aus der GP2-Studie am Ende eine Therapie für Parkinson-Patienten entwickelt werden kann? Der Tübinger Forscher bremst die Erwartungen – man befinde sich im Stadium der Grundlagenforschung und die Ergebnisse der Studie würden zunächst sicher weitere Fragen aufwerfen. Heutink sagt aber auch: „Man muss diese grundlegenden Fragen stellen, um eine Lösung zu finden.“ Eins steht für ihn fest: „Künftige Therapieverfahren zur Behandlung von Parkinson werden maßgeblich auf Erkenntnissen aus der Genetik basieren.“ Die Studie, das ist die Hoffnung, könnte wertvolle Ansatzpunkte dafür liefern. Genau das ist es auch, was Peter Heutink in seiner täglichen Arbeit antreibt. Manchmal denke er an einen Kollegen, den er als junger Forscher in den Niederlanden kennengelernt habe, erzählt er: „Der hat sich nicht mit Parkinson beschäftigt, sondern mit einer anderen Krankheit. Am Anfang seiner Karriere hat er ein Gen gefunden, das damit in Zusammenhang stand. Als er in Rente ging, entstand gerade eine Therapie, die darauf beruhte. Wenn mir das Gleiche mit Parkinson gelingt, dann bin ich ein glücklicher Mensch!“

Aus: DZG-Magazin Synergie #1/2021 - Text: Kilian Kirchgeßner


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