„Hartwig Piepenbrock-DZNE Preis“: 100 000 Euro für Hirnforscher

Auszeichnung geht an Charles Weissmann und Adriano Aguzzi

Gemeinsame Pressemitteilung der Piepenbrock Unternehmensgruppe und des DZNE

Osnabrück/Bonn, 11. September 2013. Prof. Adriano Aguzzi von der Universität Zürich und Prof. Charles Weissmann vom Scripps Research Institute Florida (USA) erhalten den diesjährigen „Hartwig Piepenbrock-DZNE Preis“ für ihre herausragende Forschung im Bereich der neurodegenerativen Erkrankungen. Aguzzis und Weissmanns bahnbrechende Erkenntnisse zum Mechanismus sogenannter Prionenerkrankungen sind wegweisend für das Verständnis anderer neurodegenerativer Leiden wie Alzheimer oder Parkinson. Die Auszeichnung wird am 24. September 2013 in Berlin gemeinsam von der Piepenbrock Unternehmensgruppe und dem DZNE vergeben.

In diesem Jahr kommt dem Hartwig Piepenbrock-DZNE Preis eine spezielle Bedeutung zu, denn anlässlich des 100-jährigen Firmenbestehens ehrt die Piepenbrock Unternehmensgruppe die Preisträger mit 100 000 Euro. Besonderes Gedenken gilt dem Firmengründer Hartwig Piepenbrock, der das Unternehmen zu einem der größten deutschen Familienunternehmen gemacht hat. Er erhielt vor einigen Jahren die Diagnose Demenz und verstarb am 3. Juli dieses Jahres. Hartwig Piepenbrock hatte sich über viele Jahre für Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft engagiert. Der Preis, der von der Piepenbrock Unternehmensgruppe gesponsert wird, ehrt die großen Forschungserfolge von Prof. Weissmann und Prof. Aguzzi. Ausgewählt wurden die Preisträger von einem Komitee, das sich aus international anerkannten Wissenschaftlern und Vertretern des DZNE sowie der Familie Piepenbrock zusammensetzte.

„Die herausragenden wissenschaftlichen Beiträge von Charles Weissmann und Adriano Aguzzi sind von außergewöhnlicher Bedeutung für das gesamte Forschungsfeld der neurodegenerativen Erkrankungen“, sagt Prof. Johannes Dichgans, Vorsitzender des Auswahlkomitees. „Mit ihrer Prionenforschung haben sie zuvor unbekannte Mechanismen entschlüsselt, die bei vielen dieser Erkrankungen eine entscheidende Rolle spielen, so auch bei der Alzheimer- oder Parkinson-Erkrankung.“ Ein wichtiger Aspekt dieser Mechanismen ist die Ansammlung verformter, körpereigener Proteine. Die Arbeiten von Aguzzi und Weissmann liefern eine solide Basis, um neue Strategien für eine frühe Diagnose sowie effektive Präventionsmaßnahmen und Therapien zu entwickeln.

Frühe Arbeiten von Weissmann und Aguzzi lieferten den überzeugendsten Beweis dafür, dass ein körpereigenes Protein bei Prionenerkrankungen wie BSE oder der Creutzfeld-Jakob-Erkrankung eine herausragende Bedeutung für die Entwicklung der Krankheit hat. Sie zeigten, dass infektiöses Material nur dann zum Absterben von Nervenzellen führt, wenn dieses spezielle Protein vorhanden ist. In folgenden Arbeiten entschlüsselten die Forschungsteams unter Leitung von Aguzzi und Weissmann grundlegende Mechanismen, in denen verformte Proteine, wie beispielsweise Prionen, Giftigkeit verursachen. Schließlich haben die Arbeiten von Weissmanns Team zur Entwicklung neuer Analysemethoden der Vermehrung und Toxizität von Prionen geführt. Zudem konnte damit die Infektiosität beim Menschen charakterisiert werden. Aguzzi und sein Team fanden außerdem heraus, wie sich Prionen von Zelle zu Zelle ausbreiten und schließlich in das Gehirn einwandern.

Die Anhäufung von endogenen, verformten Proteinen steht zudem im Mittelpunkt anderer neurodegenerativer Erkrankungen, einschließlich Alzheimer und Parkinson. Obwohl die Ursache für die Anhäufung der verformten Proteine keine Infektion ist, anders als bei manchen Prionerkrankungen, scheint die Ausbreitung dieser Proteine von Zelle zu Zelle und im Nervensystem ähnlichen Mustern zu folgen. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass andere neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson ansteckend sind. Weil jedoch der grundlegende Mechanismus der Krankheitsausbreitung ähnlich ist, ergeben sich gemeinsame Forschungsfragen. Dadurch werden auch zukünftige Ansätze für Prävention, Diagnose und Therapie nahe gelegt.

Die Preisträger

Prof. Charles Weissmann (geboren 1931) ist emeritierter Professor am Scripps Research Institute Florida (USA). Der Schweizer Molekularbiologe hat in Zürich Medizin studiert und in der organischen Chemie promoviert. Er schloss seinen Postdoc an der School of Medicine der New York University ab und trat danach dieser Fakultät bei. Im Jahr 1967 kehrte er an die Universität Zürich zurück und wurde dort Direktor des Instituts für Molekularbiologie. Im Jahr 1999 ging er zur MRC-Prioneneinheit am University College in London. Fünf Jahre später wurde er an das neue Scripps Research Institute Florida berufen, gründete dort das Institut für Infektiologie und leitete dieses acht Jahre lang.

Prof. Adriano Aguzzi (geboren 1960) ist seit Ende 1995 Direktor des Schweizer Nationalen Referenzzentrums für Prionenerkrankungen und seit 1997 Direktor und Mitglied der Fakultät des Instituts für Neuropathologie an der Universität Zürich. Adriano Aguzzi studierte Medizin in Freiburg und Basel. Nach Stationen an der Columbia University, der Universität Zürich und dem Forschungsinstitut für molekulare Pathologie in Wien arbeitete er von 1993 an als Oberarzt und Privat-Dozent in der Pathologie und Neuropathologie an der Universität Zürich. Aguzzi besitzt die italienische und die Schweizer Staatsbürgerschaft.

Pioniere der Prionenforschung – Hintergrund
In den 1980er Jahren war die Öffentlichkeit sehr besorgt über BSE (bovine spongiforme Enzephalopathie), umgangssprachlich „Rinderwahn“ genannt. Die verheerenden Veränderungen, die durch BSE im Gehirn hervorgerufen wurden, führten zu einer intensiven Ursachenforschung. Frühe Arbeiten von Tikvah Alper und John Stanley Griffith hatten postuliert, dass das übertragende Agens, das die spongiformen Enzephalopathien (Scrapie, BSE oder Creutzfeld-Jakob-Krankheit) verursacht, allein aus Protein besteht. In den frühen 1980er Jahren isolierte Stanley B. Prusiner ein Protein, das er verantwortlich hielt für die Neurodegeneration in übertragbaren Enzephalopathien. Prusiner nannte es PRION (von PRotein Infectious ONly) oder PrP (Prion-Protein). Er formulierte die erste Hypothese, die dessen Toxizität erklären sollte: Die Wechselwirkung zwischen dem infektiösen PrP (genannt PrPSc; Sc=scrapie) und einem endogenen Proteinanalog PrP würde das letztere in eine schädliche Form verändern. Charles Weissmann gelang es dann, das Gen zu identifizieren, welches das PrP im Mensch und in anderen Säugern kodiert. Dieses Gen und sein Proteinprodukt treten natürlicherweise im Organismus auf. Weissmann stellte dazu transgene Mäuse her, denen das PrP-Protein fehlte. Gemeinsam mit Aguzzi konnte er dann zeigen, dass diese Mäuse keine Prionenerkrankung entwickeln, wenn ihnen infektiöses Material injiziert wird, das PrPSc enthält. Zudem zeigten sie, dass Implantate aus normalem Hirngewebe im Gehirn transgener Mäuse, denen PrP fehlte, eine Prionenpathologie entwickelten. Das umgebende Gewebe blieb dagegen unbeschädigt. Das war der stärkste Beweis, dass das endogene Protein für die Infektiosität und Neurodegeneration nötig ist. Zudem lieferte dies den überzeugendsten in vivo-Beweis für Prusiners Prionenhypothese.

Auf Basis dieser Schlüsselerkenntnisse führten Weissmann und Aguzzi ihre Forschungen in unterschiedlichen Richtungen fort. Weissmann strebte an, die Prioneninfektiosität besser zu verstehen und zeigte, dass die Infektiosität nach einer Desinfektion mit Formaldehyd auf Metall (wie bei Operationsbesteck) erhalten bleibt – eine wichtige Entdeckung für die Krankenhaushygiene und die Laborforschung. Zudem gingen Weissmann und seine Kollegen Forschungen nach, die zu neuen diagnostischen Tools und Therapiemöglichkeiten führen sollten.

Aguzzi konzentrierte sich auf zwei zentrale Bereiche: 1. wie Mutationen und/oder fehlgeformtes PrP die Degeneration von Nervenzellen verursachen; 2. wie infektiöses Protein wie PrPSc das Gehirn nach einer Aufnahme erreichen kann. Die erste Forschungsschiene, die sich stetig fortentwickelt, hat neue Mechanismen der Prionentoxizität enthüllt. Die zweite führte zu großen fundamentalen Durchbrüchen, die für viele neurodegenerative Erkrankungen paradigmatisch werden. Das schließt unter anderem die Entdeckung des Prozesses ein, wie Prionen in das Gehirn einwandern – vom Darm zu den Lymphorganen und in das periphere sowie ins zentrale Nervensystem. Wohl noch wichtiger war die Erkenntnis, dass fehlgeformte Proteine von einer Zelle zur anderen wandern und viele Stellen im Körper erreichen können. Diverse Studien zur Ausbreitung anderer fehlgeformter Proteine wie des Beta-Amyloids und Synukleins, die eine Rolle bei der Alzheimer- und Parkinson-Erkrankung spielen, bestätigen diese Ergebnisse. Schließlich führte Aguzzis Erforschung der Prionenneurodegeneration zu fundamentalen Entdeckungen in anderen Bereichen – dabei geht es beispielsweise um die Entstehung und Funktion von follikulären dendritischen Zellen des Immunsystems.

Mit ihrer Forschung an Prionen haben Adriano Aguzzi und Charles Weissmann fundamentale Mechanismen aufgezeigt, die relevant für neurodegenerative Erkrankungen sind. Ihre Arbeiten liefern eine solide Basis, um neue Strategien für eine frühe Diagnose sowie effektive Präventionen und Therapien zu entwickeln.

Weitere Informationen zum Thema:
Neurodegenerative Erkrankungen: Prion-Prinzip als Ausgangspunkt neuer Therapie-Strategien?

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