Gut fürs Herz ist auch gut für den Kopf

Gegen die Alzheimer-Erkrankung gibt es bislang keine wirksame Therapie. Allerdings könnte Schätzungen zufolge ein Drittel aller Demenzerkrankungen (inkl. Alzheimer) vermeidbar sein: durch Maßnahmen insbesondere gegen Bluthochdruck, Diabetes und Übergewicht [1]. Auch mangelnde Bewegung gilt als Risikofaktor. Sport hingegen scheint das Risiko für Demenz zu verringern. Was weiß man darüber? Darüber sprechen wir mit Prof. Emrah Düzel, Neurowissenschaftler und Sprecher des DZNE-Standorts Magdeburg.

Herr Düzel, was macht Sport mit dem Gehirn?

Sport wirkt auf das Gehirn in vielfältiger Weise! In der Demenzforschung interessieren wir uns insbesondere dafür, was im Hippocampus geschieht. Diese Region liegt tief im Inneren des Gehirns und ist für das Gedächtnis sehr wichtig.  Durch Sport kann diese Hirnregion größer werden, es gibt also einen Zuwachs an Volumen. Gleichzeitig verbessert sich die Durchblutung des Hippocampus. Das hat man in Studien festgestellt, in denen die Teilnehmer sportlich trainierten. Auch in Studien des DZNE haben wir solche Effekte gefunden. Unsere Probanden hatten regelmäßig auf dem Laufband trainiert.

Wie werden solche Effekte gemessen?

Das geschieht nicht-invasiv. Das heißt: ohne Eingriff in den Körper. Den Volumenzuwachs und auch die Änderung der Durchblutung kann man mittels MRT, also Magnet-Resonanztomographie nachweisen. Um den Blutfluss zu messen, nutzt man eine besondere MRT-Technik: die sogenannte Perfusionsbildgebung.

Was weiß man über die Ursachen?

Hinter dem Volumenzuwachs des Hippocampus vermuten wir Wissenschaftler neue Nervenzellen. Das nennt man Neurogenese. Für diese These gibt es gute Belege, unter anderem aus tierexperimentellen Studien. In solchen Studien konnte man nachweisen, dass Bewegungstraining die Bildung neuer Nervenzellen im Hippocampus anregen kann. Nachweisen konnte man das durch Analyse des Hirngewebes. Beim Menschen kann man solche Untersuchungen nicht zu Lebzeiten durchführen. Es gibt aber entsprechende Studien an Verstorbenen. Demnach kann man ziemlich sicher sein, dass Neurogenese im Gehirn des Menschen prinzipiell stattfindet. Beim lebenden Menschen kann man überdies Ausschau halten nach indirekten Belegen für Neurogenese: So wird  zum Beispiel untersucht, ob sportliches Training, das über einen längeren Zeitraum regelmäßig stattfindet mit einer Volumenveränderung des Hippocampus einhergeht. Tatsächlich beobachtet man einen Volumenzuwachs und auch die  Durchblutung hat sich verbessert! Das sind starke Indizien dafür, dass Neurogenese stattgefunden hat. Insofern geht man davon aus, dass Sport in der Lage ist, beim Menschen die Bildung neuer Nervenzellen anzustoßen.

Gibt es auch kognitive Auswirkungen?

In der Tat! Und diese Auswirkungen sind eine weiteres Indiz für Neurogenese: Denn tierexperimentelle Untersuchungen deuten darauf hin, dass Neurogenese bestimmte Gedächtnisprozesse beeinflusst. Diese Wirkung beobachtet man auch beim Menschen. Der Effekt, den man in bisherigen Studien erzielen konnte, ist zwar gering, aber unter den kontrollierten Bedingungen einer wissenschaftlichen Experimentes messbar. Es verbessert sich die sogenannte Mustertrennung. Vereinfacht gesagt, verbessert sich die Fähigkeit des Gedächtnisses zwischen ähnlichen Ereignissen unterscheiden zu können. Es geht also um Gedächtnispräzision.

Wo spielt diese Fähigkeit im Alltag eine Rolle?

Stellen sie sich vor, Sie gehen in zwei verschiedene Supermärkte und die Supermärkte haben ähnlich aussehende Bereiche für exotische Früchte. Die gewünschte Ware gibt es aber nur in einem dieser Supermärkte. Wenn sie sich daran erinnern können in welchem Supermarkt die gewünschte Frucht zu finden ist, dann macht Ihr Gehirn erfolgreiche Mustertrennung. Man geht davon aus, dass neue Nervenzellen die Mustertrennung unterstützen und so zur Gedächtnispräzision beitragen.

Wie kommt es überhaupt, dass Bewegung das Gehirn beeinflusst?

Über die Ursachen kann man nur spekulieren. Doch wie in anderen Fällen liefert die Evolution zumindest eine plausible Erklärung. Früher war es für uns Menschen überlebensnotwendig, uns in der Natur zu bewegen und neue Umgebungen zu erkunden. Das war entscheidend, zum Beispiel für die Jagd. Und man musste auch wieder den Weg nach Hause finden. Hier ging es also um das Zusammenspiel von Bewegung, also körperlicher Anstrengung, Erkundung und der Anforderung, Erinnerungen über eine sich verändernde Umgebung abzuspeichern. Insofern ist es plausibel, dass sich zwischen Bewegung und Gehirn eine Kopplung gebildet hat. Plausibel ist auch, dass insbesondere der Hippocampus als Schaltzentrale des Gedächtnisses dabei eine Rolle spielt.

Bewegung wird ja auch als Mittel gegen Demenz diskutiert. Wie ist denn hier der Erkenntnisstand?

Die Erkenntnisse dazu stammen unter anderem aus sogenannten Populationsstudien. In solchen Studien erfasst man die Lebensgewohnheiten und die gesundheitliche Entwicklung großer Personengruppen über einen längeren Zeitraum. Das können Jahre oder gar Jahrzehnte sein. Solche Studien zeigen, dass regelmäßiger Sport die Wahrscheinlichkeit für eine Demenz verringert. Man spricht hier von Primärprävention. Anders gesagt: Wenn man in Leben viel Sport macht, so scheint das vorbeugend gegen Demenz zu wirken.

Und wenn die Demenz sich schon bemerkbar macht?

Dazu gibt es bislang kaum Studien. Weltweit werden solche Untersuchungen gerade erst angegangen. Sie sind extrem aufwändig, da sie umfangreiche medizinische Analysen erfordern. Beispielsweise mittels Positronen-Emissions-Tomographie. Mit diesem bildgebenden Verfahren lassen sich im Gehirn bestimmte Eiweißablagerungen nachweisen, die typisch für eine Alzheimer-Erkrankung sind. Überdies muss man beachten, dass es verschiedene Ausgangslagen gibt. Da sind einerseits jene Menschen, die solche Eiweißablagerungen im Gehirn aufweisen, aber noch keine Symptome einer Demenz zeigen. Hier spricht man von vorklinischer Phase. Und dann gibt es Personen, bei denen ist die Erkrankung schon weiter fortgeschritten. Bei ihnen machen sich Gedächtniseinbußen oder andere kognitive Beeinträchtigungen bereits bemerkbar. Das sind also verschiedene Ausgangssituationen. Für beide Fälle stellt sich die Frage, ob Sport den Krankheitsverlauf beeinflussen, insbesondere verzögern kann. Hier ist die Studienlage einfach noch recht dünn. Und die bisherigen Ergebnisse sind sehr unterschiedlich, manche zeigen einen Effekt, andere nicht. Es gibt da zum Beispiel eine neuere Studie aus England. Sie ergab, dass Sport die kognitive Leistung von Menschen mit bestehender leichter bis mittelschwerer Demenz nicht verbesserte [2].

Welche Studien macht das DZNE in diesem Bereich?

Derzeit laufen die Vorbereitungen für unsere EnergI-Studie [3], an der mehrere Standorte des DZNE teilnehmen. In dieser Studie wollen wir ältere Menschen untersuchen, die ein erhöhtes Risiko für Demenz haben, aber noch keine kognitiven Beschwerden. Erhöhtes Risiko bedeutet, dass die Studienteilnehmer im Gehirn sogenannte Amyloid-Ablagerungen, also Eiweißstoffe, aufweisen und dass es überdies metabolische Risiken gibt. Zum Beispiel Bluthochdruck oder erhöhten Blutzucker. Die Studienteilnehmer sind also im vorklinischen Stadium einer Alzheimer-Erkrankung. Wir wollen sie auf dem Fahrradergometer trainieren lassen und uns die Wirkung anschauen.

Was wird untersucht?

Unter anderem Volumenveränderungen des Hippocampus, Änderungen der Durchblutung aber auch Änderungen in der Zuckeraufnahme. Hier geht es um die Frage, wie das Gehirn den Zucker verarbeitet. Wir wissen nämlich, wenn die Hirnzellen diesen Energieträger nicht gut verwerten, können sich kognitive Störungen entwickeln. Bei Sport wird im Organismus ein ganzer Cocktail von Substanzen freigesetzt. Darunter der insulinähnliche Wachstumsfaktor IGF. Dadurch sollte sich die Zuckeraufnahme verbessern.

Welche Tipps geben Sie? Welcher Sport ist gut für den Kopf?

Sport ist grundsätzlich gesund, wobei man natürlicher immer den persönlichen Gesundheitszustand beachten muss. In Hinblick etwa auf das Herz-Kreislauf-System, kann man heute schon individualisierte Empfehlungen geben, welcher und wieviel Sport gut tut und was man lieber vermeiden sollte. Was das Gehirn betrifft, so kann man bislang nur allgemeine Empfehlungen geben. Es ist noch unklar, warum manche Personen mehr, andere weniger davon profitieren. Auch in unseren eigenen Untersuchungen haben wir von Proband zu Proband sehr individuelle Unterschiede festgestellt. Populationsstudien zeigen andererseits: Wer Sport treibt, verringert sein Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und auch sein Risiko für Demenz. Insofern: Tun Sie Gutes für Ihr Herz, das ist auch gut für den Kopf!

 

Das Interview führte Marcus Neitzert

Quellen/Weitere Informationen

[1] Gill Livingston et al.: Dementia prevention, intervention, and care, The Lancet (2017)
[2] Exercise Program Fails to Ease Dementia, Alzforum (2018)
[3] EnergI: Ausdauertraining im Alter

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